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Gottesgericht

Gottesgericht

Titel: Gottesgericht
Autoren: Patrick Dunne
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einen nach dem anderen hinzurichten, falls in Gefängnissen in Deutschland und Israel einsitzende Gesinnungsgenossen nicht freigelassen würden. Die Geiseln verbrachten eine Woche eingepfercht in einem alten Flughafengebäude, ehe ein israelisches Kommando nach einem fast achtstündigen Flug über viertausend Kilometer aus dem Nachthimmel stieß und sie befreite.
    Nicht dass Chaim etwas Ähnliches erwartet hätte. Zunächst einmal waren die fünf Männer und zwei Frauen, die ihn und die anderen Reiseunternehmer festhielten, keine Palästinenser. Ihr Anführer Hakan – sie benutzten nur Vornamen – war türkischer Herkunft. Chaim hatte ihn mit ihrer Führerin fließend türkisch reden hören, aber er sprach ein amerikanisches Englisch, das erkennbar seine erste Sprache war. Dasselbe galt für eine der asiatisch aussehenden jungen Frauen – sie hieß Eden, wie er glaubte. Die Übrigen sprachen wenig und behielten meist ihre Masken auf, aber sie schienen ihm Europäer oder Nordamerikaner zu sein. Was sie alle gemeinsam hatten, war etwas, das Chaim an ultraorthodoxe Juden erinnerte – sie schienen durch eine Überzeugung miteinander verbunden zu sein, die sie über alle anderen erhob.
    Wie war er in den Händen dieser Fanatiker gelandet? Chaim dachte wehmütig über die Kette der Ereignisse nach, die ihn nach Istanbul geführt hatte. Seine Frau Golda war im vergangenen Jahr gestorben, und seither versuchten ihn seine beiden Töchter zu überreden, sich aus dem Geschäft zurückzuziehen. Er hatte sich schließlich dazu bereit erklärt, aber unter der Bedingung, dass er eine letzte Werbereise unternehmen würde, ehe er sich zurückzog, um sich für den Rest seiner Jahre seinem Garten und den Enkelkindern zu widmen.
    Angenommen, es handelte sich bei der Bande tatsächlich um so etwas wie religiöse oder politische Eiferer, dann stellte sich die Frage, was der Inhalt ihres Fanatismus war. Am Abend zuvor hatten sie die Geiseln genau wie jetzt in einer Reihe aufgestellt und nach ihrem Namen, ihrem Herkunftsland und ihrer Religion gefragt. Bis dahin hatte Chaim angenommen, sie seien einfach eine zufällige Ansammlung von Geiseln, Leute, die am falschen Ort waren, als die Terroristen zuschlugen und deren Hintergrund sie wenig interessierte. Doch von diesem Augenblick an bereiteten ihm die Motive ihrer Entführer größere Sorgen.
    Diese hatten die Zeit seitdem damit verbracht, das Gebäude zu sichern und ihre Gefangenen zu bewachen. Alles, was sie von der Außenwelt mitbekamen, war das Geräusch eines gelegentlich über das Gebäude fliegenden Polizei- oder Militärhubschraubers. Aber falls türkische Kräfte es zu stürmen versuchten, würden sie eine unangenehme Überraschung erleben – die Bande hatte Türen und Fenster mit Sprengstofffallen bestückt. Außerdem wurden die Geiseln in der Mitte des großen Bereichs unter der Kuppel festgehalten. Falls sie wegzulaufen versuchten oder falls jemand durch die Eingänge oder durch Abseilen von der Kuppel herab zu ihnen vorzustoßen versuchte, wäre es ein Leichtes, sie niederzumähen.
    In der Zwischenzeit mussten die Gefangenen auf dem Marmorboden stehen, sitzen oder kauern oder abwechselnd auf einer Handvoll Stühle mit geraden Lehnen Platz nehmen. Sie schliefen auf Teppichen und Matten, die ihre Entführer aus verschiedenen Teilen des Gebäudes zusammengetragen hatten, und benutzten Handtaschen und zusammengerollte Jacken als Kopfkissen. Essen gab es so gut wie keins – nur Schokoriegel und Kartoffelchips sowie Wasser und Limonaden aus ein paar Automaten. Jeweils nur eine Geisel durfte zur Toilette, immer in Begleitung eines der Terroristen.
    Die Schlange bewegte sich weiter, und Chaims Gedanken gingen zu Shlomo zurück. Die Entebbe-Entführung war etwa zu der Zeit passiert, als Chaims Reiseunternehmen gerade in Fahrt kam. Er hatte damals viel fliegen müssen, weshalb er genau zugehört hatte, wenn Shlomo von seinen Erlebnissen berichtete – Flugzeugentführung war zu jener Zeit eine bevorzugte Terroristentaktik, und man konnte nie wissen, wann man vielleicht selbst an der Reihe war. Aber sosehr er sich auch bemühte, jetzt, viele Jahre später, fiel ihm nicht viel mehr ein, als dass Shlomo gesagt hatte, wer mit den Terroristen ins Gespräch zu kommen versuchte, wurde zum Dank verprügelt. Es war besser, nichts zu sagen oder zu tun. Und mit ihnen zu kooperieren. Chaim gab dieses Wenige an Information an seine Mitgefangenen weiter.
    Shlomo hätte er so oder so nicht mehr
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