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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag
Autoren: John Irving
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Quelle für Leichen gewesen war, in jenen Tagen, als er sie bestellt hatte. Da mußte ein Irrtum vorliegen, dessen war Homer Wells sicher, aber trotzdem ging er zum Bahnhof, um die Leiche in Augenschein zu nehmen und um dem Bahnhofsvorsteher unnötige Aufregung zu ersparen.
    Homer stand da und starrte auf den Leichnam (der korrekt balsamiert worden war) – so lange, daß der Bahnhofsvorsteher noch ängstlicher wurde. »Ich würde meinen, Sie nehmen sie entweder mit auf den Hügel oder schicken sie zurück«, sagte der Bahnhofsvorsteher, doch Homer Wells winkte dem Narren ab; er brauchte seine Ruhe, um Melony anzusehen.
    Sie habe sich diese Verwendung ihrer Leiche gewünscht, hatte Lorna dem Pathologen im Spital von Bath gesagt. Melony hatte eine Photographie in der Zeitung von Bath gesehen, zusammen mit einem Artikel, der Dr. Stones Berufung nach St. Cloud’s bekanntmachte. Im Falle ihres Todes (der durch einen elektrischen Unfall verursacht war) hatte Melony Lorna aufgetragen, ihre Leiche an Dr. Stone in St. Cloud’s zu senden. »Vielleicht könnte ich mich nützlich machen für ihn – endlich«, hatte sie zu ihrer Freundin gesagt. Natürlich erinnerte sich Homer daran, wie eifersüchtig Melony auf Clara gewesen war.
    Er sollte an Lorna schreiben; sie sollten ein Weilchen korrespondieren. Lorna sollte ihm schreiben, daß Melony »zur Zeit ihres Unfalls eine relativ glückliche Frau« gewesen war; nach Lornas Meinung war etwas im Zusammenhang damit, wie ruhig Melony geworden war, verantwortlich dafür, daß sie sich selbst auf den elektrischen Stuhl gesetzt hatte. »Sie war eine Tagträumerin«, sollte Lorna schreiben. Homer wußte, daß alle Waisen Tagträumer waren. »Sie waren ihr Held – endlich«, sollte Lorna ihm sagen.
    Als er ihre Leiche in Augenschein nahm, wußte er, daß er sie niemals für einen Auffrischungskurs benutzen könnte; er würde nach Bath schreiben und um eine andere Leiche bitten. Melony war genug benutzt worden.
    »Soll ich sie zurückschicken, Doktor?« flüsterte der Bahnhofsvorsteher.
    »Nein, sie gehört hierher«, sagte Homer Wells, und so ließ er Melony den Hügel hinaufbringen. Der Anblick, den sie jetzt bot, mußte Mrs. Grogan unbedingt erspart bleiben. Homer erzählte ihnen allen, daß Melony sich gewünscht hätte, in St. Cloud’s begraben zu werden, und das wurde sie dann auch – auf dem Hügel unter den Apfelbäumen, wo sie ihre liebe Mühe hatten, ein richtiges Loch zu graben (überall war dichtes Wurzelwerk von den Bäumen). Endlich hatten sie ein Loch ausgehoben, groß und tief genug, auch wenn es eine knochenbrechende Plackerei gewesen war, und Schwester Caroline sagte: »Ich weiß nicht, wer sie ist, aber sie ist wohl schwierig.«
    »Das ist sie immer gewesen«, sagte Homer Wells.
    (»Hier in St. Cloud’s«, hatte Wilbur Larch geschrieben, »lernen wir, die Schwierigen zu lieben.«)
    Mrs. Grogan sprach ihren Kardinal Newman über Melonys Grab, und Homer sprach sein eigenes Gebet (für sich) für sie. Er hatte immer viel erwartet von Melony, aber sie hatte ihm immer mehr gegeben, als er erwartet hatte – sie hatte ihn wahrhaft erzogen, sie hatte ihm das Licht gezeigt. Sie war mehr Sonnenstrahl, als ich jemals gewesen bin, dachte er. (»Freuen wir uns für Melony«, sagte er für sich selbst. »Melony hat eine Familie gefunden.«)
    Hauptsächlich aber studierte er die lehrreiche Kurze Geschichte von St. Cloud’s (und verweilte bei jedem einzelnen Wort). In diesem Bestreben fand er sich von Schwester Angela und Schwester Edna und Mrs. Grogan und Schwester Caroline unermüdlich begleitet, denn in diesem Bestreben hielten sie Wilbur Larch am Leben.
    Nicht, daß Homer alles klargeworden wäre: die späteren Eintragungen in Eine kurze Geschichte von St. Cloud’s waren entstellt durch kürzelhafte Erleuchtungen und Grillen, die Larch durch den Äther zuteil wurden. Zum Beispiel, was meinte Larch mit »reimt sich auf screams!«? Und es schien eine ganz untypische Fühllosigkeit von Larch, wenn er geschrieben hatte: »Ich habe ihr den Penis des Ponys in den Mund gesteckt! Ich habe dazu beigetragen!« Wie konnte er das gedacht haben? fragte sich Homer, weil er niemals erfuhr, wie gut Dr. Larch Mrs. Eames’ Tochter gekannt hatte.
    Als er älter wurde, fand Homer Wells (alias Fuzzy Stone) besonderen Trost in einer nicht weiter erklärten Mitteilung, die er in den Schriften Wilbur Larchs entdeckt hatte.
    »Sagen Sie Dr. Stone«, hatte Dr. Larch geschrieben – und dies war
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