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Gottes kleiner Finger - [Thriller]

Gottes kleiner Finger - [Thriller]

Titel: Gottes kleiner Finger - [Thriller]
Autoren: Bastei Lübbe
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unsere sterblichen Überreste zu Staub geworden sind.
    Katharine betrachtete den völlig zerstörten Kontrollraum des Kraftwerks.
    Vielleicht können wir nur unser Bestes versuchen, dachte sie. Vielleicht muss das genügen. Denn in der Welt von heute haben die Dinge die ärgerliche Tendenz, sich alle fünfzig oder hundert Jahre in ihr Gegenteil zu verkehren. Manchmal noch schneller.
    The law of Unexpected Consequences , überlegte Katharine. Das Gesetz der unvorhersehbaren Folgen. Das war seinerzeit eine Zwangsvorstellung schon von Kublai Khan gewesen, der über das größte Reich der Weltgeschichte geherrscht hatte.
    Sie kamen an der Stelle vorbei, wo die Geschosse der Granatwerfer eine lange Reihe von Löchern in das Gewächshaus gerissen hatten.
    Vielleicht ist es auch wichtig, den kommenden Generationen eine sinnvolle Aufgabe zu hinterlassen, dachte Katharine bitter. Schließlich mussten auch die noch ungeborenen Generationen die Welt retten dürfen und das Gefühl haben, gebraucht zu werden. Die Menschen brauchten höhere Aufgaben und Ziele als das Leben. Vielleicht ist gerade das die Hauptaufgabe der Ingenieure von heute: sich für die kommenden Generationen immer neue Weltuntergangsbedrohungen auszudenken. Nanotechnologie, Gentechnologie und Chemikalien, die die Ozonschicht zerstören. Langlebige organische Schadstoffe, künstliche Viren, Brutreaktoren und alle möglichen anderen netten Kleinigkeiten, sodass auch die kommenden Generationen zu ihrer Zeit die Welt retten können. Dann, wenn sie an der Reihe sind.
    Denn wer wäre imstande, uns noch neue Arten eines drohenden Weltuntergangs zu entwickeln, wenn nicht wir selbst. Wölfe und Bären können es nicht. Nur die Ingenieure können noch das Überleben unserer Art bedrohen.
    Oha, was bin ich doch heute zynisch, dachte Katharine. Einen Moment lang hatte sie deswegen ein schlechtes Gewissen, als sie an Razia al-Qasreen und Reino Keskitalo dachte und daran, wie er gestorben war.
    Aber sie blickte nicht mehr zurück auf Gottes Kleinen Finger, als sie auf den Lkw stiegen, mit dem sie sich wenig später auf den Weg nach Kairo machten.

19
    Katharine Henshaw ließ ihren Blick über Lauri Nurmis neues Anwesen schweifen, das er sich an der Südküste Finnlands gekauft hatte. Lauri hatte gerade ihren Koffer ins Haus getragen, und sie hatten sich an den großen, massiven Holztisch im Garten gesetzt.
    Lauri hatte Katharine schon am Flughafen die Neuigkeiten aus der Sahara erzählt. Wie Khadidja und Scheich Azhrawi berichteten, hatten die in der Wüste kursierenden Geschichten die Zahl der Dschandschawid, die den Sonnenturm angegriffen hatten, schon auf fünfzigtausend anwachsen lassen.
    Auch die anderen Einzelheiten der Geschichte hatten sich rasch verändert, und Lauri fand, dass sie mit der Wirklichkeit nicht mehr viel zu tun hatten. Ebenso wenig wie die berühmte Anekdote, nach der Abu Musab al-Zarqawi und seine ersten dreißig Nachfolger im Irak einmal die ganze US-Armee besiegten. Oder die Legende, nach der Francisco Pizarro die große Armee der Inkas in einer gewaltigen Feldschlacht auf dem winzigen Marktplatz des kleinen Orts Cajamarca besiegte. Oder der noch ältere Mythos von den dreihundert Spartanern, die in dem kleinen, schmalen Pass der Thermopylen gegen die hunderttausend Mann starke persische Armee kämpften. Dichter brauchten sich nicht um die Logik oder den Raumbedarf von Regimentern zu kümmern.
    Was soll man machen, dachte Katharine, die Welt ist immer mit Geschichten beherrscht worden. Damit, welche Geschichten erzählt und welche verschwiegen wurden. Und natürlich mit der Art, in der bestimmte Geschichten erzählt wurden.
    Es war Ende Mai, und die Blätter der hohen Birken auf dem geschützten Hof waren lichtgrün, die der Eichen und Ahorne dagegen erst kleine braune Knospen. Szillas und Butterblumen leuchteten auf Lauris nicht gerade sorgfältig gepflegtem Blumenbeet. Vom nahen Acker drang das Geschrei eines großen Möwenschwarms herüber. Die Rauchschwalben flogen über den Hof und huschten manchmal ganz tief über ihre Köpfe hinweg, so als wollten sie absichtlich ihre Haare streifen. Es war sommerlich warm, der Himmel blau und fast wolkenlos. Katharine trug ein eng anliegendes rotes Kleid mit einem Muster von großen dunklen Rosen. Lauri fand sie womöglich noch schöner als je zuvor.
    »Hier gefällt es mir«, sagte Katharine. »Ich finde es gut, dass du beschlossen hast, fortzugehen und hierherzuziehen. Hoffentlich wird dir die Zeit hier
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