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Gottes kleiner Finger - [Thriller]

Gottes kleiner Finger - [Thriller]

Titel: Gottes kleiner Finger - [Thriller]
Autoren: Bastei Lübbe
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al-Qasreen und Jacques Desvernois.
    »In unserer Zeit ist nur das Große wirklich interessant«, verteidigte sich Schrader. »Dank des Sonnenwindkraftwerks hat niemand bemerkt, woran wir gleichzeitig in Marokko gebastelt haben, an einem scheinbar viel kleineren Projekt.«
    Ich kann immer noch nicht glauben, dass das wahr ist, dachte Janet.
    »Aber die Sonnenwindmühlen haben doch zumindest als Produzenten von Nachtstrom eine Bedeutung?«, fragte sie eindringlich. »Als Anbieter von Regelstrom? Nicht wahr? Sei so gut und sag mir, dass wir all das nicht umsonst gemacht haben. Gib mir wenigstens etwas! Ich brauche jetzt etwas, woran ich mich festhalten kann!«
    »Unser Ziel ist es, an derselben Stelle sowohl Fotovoltaikanlagen als auch Sonnenwindkraftwerke zu bauen«, sagte Schrader tröstend. »Wenn wir die Abwärme der Solarzellen in die Becken mit Salzlösung unterhalb des Gewächshauses leiten, können wir die Produktion von Nachtstrom mindestens verdoppeln.«
    Gott sei Dank, dachte Janet. Ich weiß nicht, ob das genügt, aber es ist ein Anfang. Vielleicht werde ich über all dies hinwegkommen.
    »Ich glaube, dass in einiger Zeit ein großer Teil von Europas Nachtstrom gerade aus Sonnenwindkraftwerken kommen wird«, fuhr Schrader fort. »Aber vorher ... nun ja, wir haben darüber einen Vertrag mit der polnischen Regierung.«
    »Mit der polnischen Regierung?«, fragte Lauri verwundert.
    »Polen ist in gewisser Weise das Herz Europas«, bemerkte Schrader. »Es liegt genau in der Mitte des Kontinents. Die Polen sind bereit, Regelstrom durch Verbrennung von Biomasse zu produzieren, die mit modernen Flussschiffen aus den Nachbarländern importiert wird. Biomasse wie zum Beispiel aus einzelligen Algen gepresste Pellets, Holz und Holzkohle. Neben jedem Biomassekraftwerk wird auch ein geothermisches Kraftwerk gebaut, das überkritisches Kohlendioxid verwendet.«
    »Die Polen lagern also Kohlendioxid im Boden ein?«, fragte Lauri unnötigerweise.
    Schrader nickte.
    »Ganz recht, das überkritische Kohlendioxid reagiert mit den Bodenmineralien und wird zu Stein. Zu einem Teil des Felsgrundes.«
    »Kohlenstoffnegativer Regelstrom«, brummte Lauri.
    Schrader sah Katharine und Lauri an.
    »Ich hätte es euch sagen müssen«, sagte sie reumütig.
    »Du hättest es uns sagen müssen«, bestätigte Lauri.
    »Aber wir wussten, dass die Baustelle unterwandert war«, erklärte Schrader. »Dass es dort Spione und Saboteure gab. Wenn wir es gesagt hätten, hätte die Information sich verbreitet.«
    Lauri stand auf und reichte Katharine die Hand. Er sah nicht mehr zu Annelies Schrader hin. Er konnte sie nicht ansehen. Noch nicht. Nicht in diesem Moment.
    »Was ist?«, fragte Katharine verwundert.
    »Lass uns nach Hause fahren«, sagte Lauri.
    Katharine sah Lauri an. Ein kleines, müdes Lächeln huschte über ihre Lippen.
    »Nach Hause? Das ist eine gute Idee. Schön, dass du gerade dieses Wort benutzt hast.« Katharine umschloss mit den Fingern Lauris Hand und drückte sie rasch, aber fest. Dann löste sie ihren Griff.
    »Kommst du mit?«, fragte Lauri Janet.
    »Das könnte ich machen«, antwortete Janet. »Ich muss ja ins Krankenhaus gehen und Razia und Jacques besuchen.«
    Sie begaben sich auf die Brücke, die über das Gewächshaus führte. Lauri stützte Janet, die wegen ihrer Schenkelwunde hinkte, und half ihr in eins der Elektroautos von SunWind.
    Hinter ihnen reckte sich der drei Kilometer hohe, graue Betonturm herrisch und trotzig zum Himmel hinauf, so als wäre er tatsächlich Gottes kleiner Finger. So als wäre er eine wundertätige, zum Himmel aufragende Erscheinung, deren bloße Berührung kühle Winde wehen und erfrischenden Regen fallen lassen könnte. Der Turm, der die trockene Wüste im Umkreis von Tausenden von Kilometern ergrünen und im Wüstenfrühling Milliarden von Blumen erblühen lassen würde.
    Als Katharine sich für einen Moment nach ihm umdrehte, konnte sie plötzlich nicht mehr sagen, ob sie ihn schön oder hässlich fand. Ursprünglich hatte sie ihn einfach schrecklich gefunden, aber jetzt ... jetzt wusste sie es nicht mehr so recht. Vielleicht war er gleichzeitig hässlich und schön. So wie es auch mit vielen anderen Dingen der Fall war. Und sie konnte immer noch nicht sagen, ob es richtig oder falsch gewesen war, Gottes Kleinen Finger zu bauen.
    Woher sollen wir wissen, was wir gerade alles bewirkt haben? Denn viele Dinge werden erst viel später verständlich. Lange, nachdem wir selbst schon tot und
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