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Gottes Gehirn

Gottes Gehirn

Titel: Gottes Gehirn
Autoren: Jens Johler , Olaf-Axel Burow
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auch für Sarah und sie, aber es war nun einmal so, dass der Tag nur vierundzwanzig Stunden hatte.
Vor allem sein Buch war ihr ein Dorn im Auge gewesen. Seinen Job musste er machen, das sah sie ein, aber warum musste er auch noch jahrelang an irgendeinem Buch über Wissenschaft und Philosophie schreiben? Er wurde ja doch nie damit fertig. Außerdem war es völlig egal, ob das Wissen der Welt einmal eine Einheit gewesen war, ein philosophisches Ganzes, und sich dann, mit dem Aufkommen der modernen Wissenschaft, in tausend miteinander konkurrierende Disziplinen zersplittert hatte. Wen interessierte das? Maria jedenfalls nicht.
    Eines Tages hatte sie dann eine Entscheidung verlangt: Entweder wir oder dein Buch. Jetzt wohnte sie allein mit Sarah in der Fünfzimmerwohnung, und er hockte in dieser Bude hier und drohte zu verwahrlosen.
    Das Telefon hatte inzwischen aufgehört zu klingeln. Troller wünschte sich inständig, dass Maria aufgegeben hätte, aber gerade als er seinen Faden wieder gefunden hatte, ging es wieder los. Er atmete tief durch und nahm den Hörer ab.
    „Mach’s kurz“, sagte er, „ich hab nicht viel Zeit.“
„Okay, so kurz wie möglich“, sagte eine tiefe, etwas raue Stimme. Es war Kranich.
„Entschuldige. Ich dachte, es wäre Maria.“
„Ich halte einen Vortrag in der Urania“, sagte Kranich. „Hättest du nicht Lust zu kommen? Wir könnten hinterher was essen.“
„Aber sicher, jederzeit.“
„Also, dann bis nachher. Es fängt um sieben an.“
„Heute?“ Er hatte mal wieder den Mund zu voll genommen.
    „Warum hast du denn nicht früher angerufen? Es ist nämlich so, dass ich morgen für zwei Wochen in mein Ferienhaus fahre und heute Abend eigentlich noch . . .“
„Verschieb deinen Urlaub“, sagte Kranich.
    „Meine Geschichte ist wichtiger.“
    „Warum?“
„Ich sag’s dir nachher.“
„Gib mir wenigstens ein Stichwort.“
Kranich zögerte einige Sekunden. Dann sagte er leise:
    „Eklund.“
    „Eklund? Was ist mit dem?“
    „Hast du nichts davon gehört?“
„Doch, natürlich. Grauenhafte Geschichte. Aber was hast du damit zu tun?“
    Kranich wurde noch leiser, dafür aber umso eindringlicher: „Ich habe einen Verdacht, eine Vermutung.“
„Was für eine?“ Troller war auf einmal wie elektrisiert. Kranich war nicht jemand, der so etwas einfach nur dahersagte.
„Eine bloße Vermutung, wie gesagt.“ Er sprach jetzt so leise, dass Troller ihn kaum noch verstehen konnte. „Aber wenn ich Recht habe, dann war das erst der Anfang. Also, bis nachher.“
„Was ist das für ein Vortrag?“, fragte Troller noch.
Aber Kranich hatte schon aufgelegt.
Kranich – Professor Dr. Ralph G. Kranich – war einer der angesehensten, aber auch umstrittensten Zukunftsforscher Europas. Troller kannte ihn seit ungefähr dreißig Jahren. Sie waren in Hamburg auf demselben Gymnasium gewesen, allerdings nicht in derselben Klasse. Kranich war zwei Jahre älter als er. Troller hatte ihn damals für seine Artikel in der Schülerzeitschrift bewundert, während Kranich Trollers Existenz zunächst gar nicht zur Kenntnis genommen hatte. Aber dann hatten sie sich auf einer Ferienfreizeit in der Schweiz kennen gelernt und gemeinsam eine Band gegründet. Troller hatte Rhythmusgitarre, Kranich Leadgitarre gespielt. Lennon und McCartney waren ihre Vorbilder gewesen, und es war keine Frage, wer von beiden Lennon war. Kranich hatte Troller den ersten Joint in die Hand gedrückt und ihm Frank Zappa und Jack Kerouac nahe gebracht. Kranich war immer einen Tick schneller, immer einen Schritt näher dran, und Troller hatte schon damals seine Fähigkeit bewundert, Trends und Entwicklungen vorauszuahnen.
Nach der Schulzeit hatten sie sich eine Zeit lang aus den Augen verloren. Erst Jahre später, Ende der Achtziger, waren sie einander wieder begegnet. Kranich arbeitete zu der Zeit am Massachusetts Institute of Technology, dem MIT, und hatte sich mit einigen brillanten Arbeiten über künstliche Intelligenz und die Zukunft der Computer einen Namen gemacht. Troller hatte ihn damals im Auftrag eines großen Nachrichtenmagazins interviewt. Inzwischen hatte Kranich einen Großteil seiner Thesen revidiert, aber das hatte seinem Renommee nicht geschadet.
    Anfang der Neunziger hatte er dann einen Ruf an die Freie Universität angenommen, und Troller war zufällig zu derselben Zeit nach Berlin gekommen, um als Leiter des Ressorts Wissenschaft bei der Gründung des Magazins Fazit mitzuwirken. Seitdem hatten Kranich und er sich
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