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Gott wuerfelt doch 1

Gott wuerfelt doch 1

Titel: Gott wuerfelt doch 1
Autoren: Lutz Kreutzer
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Denkpause und
zog die Stirn kraus. „Wo war Ihre Freundin Anna am liebsten?“, wollte sie
wissen. „Ich meine, wo hat sie sich am liebsten aufgehalten? In den Bergen, am
Meer, im Süden, im Norden?“
    „Am Meer, sie hat
südländische Kultur geliebt.“
    „Welche
Fremdsprachen hat sie gesprochen?“
    Ich begriff allmählich,
worauf diese Frau hinauswollte. Sie war bereits dabei, das Problem
einzukreisen. „Sie sprach ... – sie spricht! Englisch, Französisch und
Spanisch. Ein wenig Italienisch.“
    „Nun, gab es
befreundete Staaten der DDR im englischen, italienischen oder französischen
Sprachraum?“, fragte sie vorsichtig.
    „Französische
vielleicht in Afrika.“
    „Und hatte sie
irgendeine persönliche Beziehung zu Afrika, ihre Freundin?“
    „Nein, nicht dass
ich davon wüsste, nein.“ Ich war mir sicher.
    „Bleibt also der
spanische Sprachraum. Hmmm. Wir suchen also nach einem spanischsprachigen Land,
wahrscheinlich ein kommunistisches Land im Süden und am Meer.“ Sie sah mich
voller Erwartung an.
     „Kuba!“, murmelte
ich gedankenverloren. „Sie ist auf Kuba!“, rief ich.
    „Warum sind Sie so
sicher?“
    „Weil sie schon auf
Kuba war und sich auskannte.“
    „Was hat sie denn
auf Kuba gemacht?“
    „Sie hat damals in
Köln Chemie studiert. Und sie hat sich nach dem Vordiplom auf die
Lebensmittelchemie gestürzt. Im Rahmen eines Austauschprogramms ist sie nach
Kuba gekommen, ein Jahr, bevor wir uns kennen lernten, also 1982. Die
Rauchwarenindustrie spürte damals den ersten harten Gegenwind. Es gab ein
Forschungsprojekt zur Reduzierung von Teer im Tabak. Und Ziel war, diese
Reduzierung bereits an Ort und Stelle beim Anbau zu erreichen. Sie war dadurch
in Kuba als studentische Hilfskraft.“
    „Wissen sie, wo sie
dort gewesen ist?“
    „Nun ja, eigentlich
habe ich ja ein gutes Gedächtnis, aber ich habe nie Spanisch gelernt. Den Namen
habe ich mir nicht gemerkt. Irgendwo im Westen des Landes, in der
Tabakprovinz.“
    „War sie mit einem
Team unterwegs?“, fragte sie hoffnungsvoll.
    „Ja, sie waren zu
viert. Ihr Professor, ein Assistent und eine Studienkollegin.“
    „Geben Sie mir die
Namen!“, bat sie.
    Ich erinnerte mich
langsam an die Namen. „Mein Gott, warum bin ich da nicht eher drauf gekommen?“
    „Weil sie gar nicht
drauf kommen konnten. Es ging nur, weil wir beide uns begegnet sind.“ Ich muss
sie wohl skeptisch angesehen haben. „Ja, das ist so“, sagte sie freundlich,
aber bestimmt. „Die Kräfte des Unbewussten werden heutzutage immer noch falsch
eingeschätzt!“
    Sie stand auf,
reichte mir ihre Hand, packte die Unterlagen zusammen und ging auf die Tür zu.
„Wir werden uns zwei Wochen nicht sehen können, Herr Landes.“
    Ich fragte Sie
abschließend: „Warum helfen Sie mir?“
    Sie lächelte, sah
kurz zu Boden und verließ den Raum mit den Worten: „Weil Sie etwas von Liebe
und von Menschen verstehen.“
    Ich verbrachte
einige Tage in Unruhe. Einer der beiden anderen Psychologen hatte ein paar Sitzungen
mit mir, aber ich verweigerte mich ihm. Er war professionell geduldig, und
gerade diese leise Freundlichkeit und kühle Bestimmtheit erregte in mir innere
Aufruhr. Ich hatte den Eindruck, er hielt mich für einen Idioten; ich tat ihm
natürlich Unrecht, denn er war Profi. Auf die Frage, wo Martina Semmler sei,
antwortete er mir nur karg: „In Urlaub. Wollen wir weitermachen, Herr Landes?“
Ich kam zu dem Schluss, ihn nicht mehr ernst nehmen zu wollen. Seine Fragen
beantwortete ich zwar, jedoch nur mit den nötigsten Worten, um nicht noch mehr
Fragen gestellt zu bekommen. Über mein Innenleben hielt ich mich zurück. Ich
vertraute ihm nicht.
    Nach vierzehn Tagen
war sie wieder da. Sie hatte gleich am Morgen ihres ersten Arbeitstages dafür
gesorgt, dass sie mit mir eine Sitzung hatte.
    Als ich in den
Therapieraum geführt wurde, saß sie schon dort. Sie erhob sich von ihrem Platz
und reichte mir die Hand. „Ich habe eine interessante Nachricht für Sie.“
Dieser Satz erhöhte meine Spannung ins Unerträgliche.
    „Was ist denn?“,
fragte ich.
    „Ich glaube, ihre
Freundin lebt!“ Ich setzte mich. „Wo?“, flüsterte ich. Martina Semmler nahm am
anderen Ende des kleinen Tisches Platz.
    „Auf Kuba, sie ist
tatsächlich auf Kuba.“ Ihre Stimme vibrierte ein wenig. Ihr war das passiert, wovor
sich jeder Therapeut in seiner beruflichen Laufbahn fürchtet: Ihr Herz hatte
begonnen, am Schicksal eines Klienten Anteil zu nehmen.
    In mir wuchsen
tausend
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