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Gott wuerfelt doch 1

Gott wuerfelt doch 1

Titel: Gott wuerfelt doch 1
Autoren: Lutz Kreutzer
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zu sein? Sie heirateten am 13. August 1948 und feierten ihre Hochzeit
im Kreise von Freunden am Wiener Bisamberg, wo ein Kollege eine Laube mit
eigenem Weingarten besaß. Ärzte, Krankenschwestern, Pfleger - und alle seien
betrunken gewesen vom Marillenschnaps, den ein Freund meines Vaters in der
Wachau brannte.
    1950 übersiedelten
meine Eltern nach Köln, wo Vater eine viel versprechende Assistentenstelle an
der Universität bekommen hatte. Sie zogen in ein schönes kleines Haus in der
Nähe des Kölner Stadtparks, und Mutter lernte rasch den Kölner Menschenschlag
zu schätzen. Als rotblonde Ungarin besaß sie einen Charme, der ihr stets viele
Freunde, aber auch eifersüchtige Rivalinnen bescherte, gegen die sie allerdings
immer ein Mittel parat hatte: ihre direkte Art, die Ungereimtheiten des Lebens
anzusprechen. „Mein Junge“, hat sie mir später beigebracht, „wenn eine Minute
vergangen ist, ist es schon zu spät! Willst du einen Bären erlegen, so triff ihn
genau zwischen die Augen!“ Ihr Temperament war sprichwörtlich, und Vater lag
ihr zu Füßen. Und nicht nur er.
    Deutschland
erwachte in den Folgejahren aus seinem Schlaf, zumindest der Westen, sagte mir
Vater einmal. Zahlreiche alte Nazis waren zwar wieder in entscheidenden
Positionen, aber sie trauten sich längst nicht mehr, Menschen derart zu
erniedrigen wie noch ein paar Jahre zuvor. Und so fielen sie nicht auf im
Taumel des neuen Glücks, und es wollte auch niemand mehr an jene grauen Zeiten
zurückdenken.
    Auf Kinder wollten
meine Eltern erst einmal verzichten. Sie hatten sich so geliebt, sagte Vater,
dass sie noch warten konnten, bis sie wirtschaftlich unabhängiger wären. Erst
dann wollten sie Kinder haben. Vater konzentrierte sich also auf seine Karriere
als Arzt und Wissenschaftler, Mutter wurde eine leitende Krankenschwester,
deren Autorität mehr auf Herzlichkeit gründete als auf Strenge.
    Vater trug die
Leidenschaft für das Reisen in seiner Natur, eingeimpft von meinem Großvater.
Und so zeigte er von dem Geld, das die beiden zur Seite legen konnten, meiner
Mutter die Welt. Sie fuhren mit dem Schiff nach New York, mit der Eisenbahn
nach Belgrad, flogen nach Kairo und nach London. Sie wanderten durch die
Schweiz, fuhren Ski in Österreich und saßen am Wochenende in den Weingärten an
Mosel oder Rhein und dachten voller Sehnsucht an den Heurigen in Wien. Sie
wurden von ihren Nachbarn und den Kollegen beneidet. Aber meine Eltern
kümmerten sich nicht darum, denn sie wollten frei sein.
    Nach über zehn
Jahren, in denen sie ihre verratene Jugend nachgeholt hatten, stand Mutter an
einem sonnigen Morgen mit strahlenden Augen vor Vater, nahm sanft seine rechte
Hand und legte sie behutsam auf ihren Bauch. Er sah sie staunend an wie das
Universum, Tränen voller Sehnsucht reinigten seinen Blick; dann küsste er sie
zärtlich auf die Stirn, und beide spürten, dass ihnen noch weit mehr Glück
bevorstünde, als sie es während ihrer gemeinsamen Zeit ohnehin schon erfahren
hatten.
    *
    Vater war rasch zu
einem gefragten Wissenschaftler geworden, Biomedizin war sein Spezialfach. Mit
siebenunddreißig Jahren wurde er Ordinarius und war nun Leiter eines großen
Forschungsprojekts, das sich zum Ziel gesetzt hatte, den Alterungsprozess des
menschlichen Organismus zu klären.
    An einem grauen Freitag
- es war der 17. November 1960 - wollten meine Eltern nach Ostberlin (was vor
dem Bau der Mauer noch nicht sonderlich schwierig war); und zwar deshalb, weil
die Schwester meines Vaters, Sieglinde Landes, einen Parteifunktionär, Erwin
Müller, heiraten wollte. Tante Sieglinde hatte es nach dem Krieg in die Nähe
von Potsdam verschlagen; sie blieb dort, und ich habe sie bis heute niemals
gesehen.
    An jenem Tag im
November fuhren meine Eltern in einem dunkelgrünen Opel Olympia über eine jener
Straßen, wie sie damals in der DDR gang und gäbe waren: schmal und holprig,
rechts und links von Eichen und Pappeln gesäumt, die an jenem Abend den Nebel
zwischen ihren Ästen zäh hin- und herreichten.
    Vater saß stolz auf
dem grünen Stoffsitz seines Autos, umklammerte das Lenkrad, hatte die Augen
zusammengekniffen und starrte in die Lichtkegel, die sich von den Scheinwerfern
durch die Wand aus Wassertröpfchen fraßen, um ab und zu einen der Bäume
einzufangen. Sein dunkles Haar klebte an seinem Gesicht, und seine Augen durchbohrten
starr vor Anstrengung die Windschutzscheibe, die von der Spur der
Wischerblätter verschmiert war. Mutter trug ein weites Kleid und
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