Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Titel: Gott und die Staatlichen Eisenbahnen
Autoren: Peter Ustinov
Vom Netzwerk:
Sie sich? Ja, das Leben ist voll kleiner Ironien.«
    »Hat Ihr Besuch etwas mit meiner mißlichen Lage zu tun?« forschte Gargaglia.
    »Ah, Gargaglia der Praktiker, der Administrator, der Mann aus Stahl. Ein weiteres Symptom einer komplexen Persönlichkeit.« Manasse tätschelte dem Gefangenen das Knie. »Verzeihen Sie mir, falls es Ihnen scheint, als spotte ich ihrer. Es ist mein Überschwang, da ich Sie nach so langer Zeit wiedersehe, und ganz ehrlich, ich habe im Gefängnis manchmal gedacht, die Gelegenheit, unsere Bekanntschaft zu erneuern, würde sich nie mehr ergeben.«
    »Genug davon«, sagte Gargaglia schroff. »Sie mögen alle Zeit der Welt für solche Neckereien haben, ich nicht. Jeden Moment kann man kommen, um mich zu erschießen.«
    »Das hat keine Eile«, sagte Manasse. »Ich habe darum gebeten zu warten.«
    »Dann kommen Sie also mit einem offiziellen Anliegen. Ich verlange zu erfahren, um was es sich handelt.«
    »Mein Anliegen ist keineswegs offizieller Natur«, erwiderte Manasse geduldig. »Es ist nur so, daß mit dem Zusammenbruch des Faschismus mein guter Ruf wiederhergestellt ist. Plötzlich weiß jedermann, wer ich bin. Ich bat die derzeitigen Machthaber, in Ihrer Sache nichts zu unternehmen, bevor ich nicht mein Gespräch mit Ihnen beendet hätte. Sie waren sofort einverstanden. Solange ich hier bin, können Sie sich sicher fühlen.«
    Gargaglia runzelte die Stirn. »Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen«, sagte er zögernd, »aber es wäre nicht menschlich, wenn Ihre Einstellung zu mir nicht von Rachegefühlen diktiert wäre.«
    »Es wäre nicht menschlich? Wieso?« Manasse schien erstaunt; dann kam ihm plötzlich die Erleuchtung. »Ah, weil Sie es waren, der die Unterdrückungsmaßnahmen gegen die Juden veranlaßte. Ja, ja, ja. Daran habe ich gar nicht gedacht.«
    Sein Ton wurde plötzlich äußerst verständnisvoll. »Was hätten Sie dagegen tun können? Es war sehr wichtig für uns, das Bündnis mit den Deutschen zu pflegen, um, wie ich vermute, die Mängel unserer eigenen Streitkräfte zu verbergen. Es war unerläßlich für Sie, sich der Linie zu unterwerfen, die die Deutschen Ihnen vorschrieben, wann und auf welchem Gebiet auch immer. Falls Sie Wert darauf legen – ich persönlich verurteile Sie nicht für die plötzliche Welle des staatlich geschürten Antisemitismus oder für meine Verhaftung. Sie werden Ihre Gründe gehabt haben. Ich bin geneigt, die Gründe für Ihr Verhalten im voraus zu akzeptieren.« Gargaglia war bemüht, sich verständig zu geben. »Gewiß, der Druck der Deutschen war beträchtlich – «
    »Beträchtlich? Ich bin sicher, er war übermenschlich.«
    »Es gab keinen Druck von deutscher Seite, dem wir uns nicht hätten widersetzen können. Es wäre falsch, anzunehmen, daß wir eine einzige Entscheidung unter Zwang getroffen hätten. Wir waren absolut verantwortlich für jede einzelne Aktion, die im Namen der italienischen Regierung durchgeführt wurde.«
    Oh, Gargaglia war kein Narr. Er sah die Falle, die ihm gestellt war, doch er nahm an, daß ein Mann von Manasses Temperament offenherzige Ehrlichkeit höher schätzen würde als versuchte Spitzfindigkeiten. »Mit anderen Worten, Sie sagen mir nun, daß die plötzliche Verfolgung unserer jüdischen Bevölkerung eine ausschließlich italienische Initiative war?«
    »Ja«, antwortete Gargaglia.
    »Aber sind Sie aufrichtig überzeugt, daß Sie ohne das Beispiel Deutschlands auf diese Idee verfallen wären?«
    »Das ist eine akademische Frage, Professor.«
    »Wäre Italien je in den Krieg eingetreten, ohne ein Zeichen von seinem großen Bruder – oder sagen wir, Halbbruder?«
    »Auch dies ist eine akademische Frage. Tatsache ist, daß diese Vorgänge aus bestimmten Gründen stattfanden. Es ist sinnlos, darüber zu spekulieren, was sie veranlaßte oder was hätte sein können.«
    »Sinnlos, aber faszinierend«, sagte Manasse lächelnd. Eine Zeitlang musterte er Gargaglia, der hastig Geistesabwesenheit vortäuschte. Diese vier blauen Augen, deren jedes seine eigene Richtung verfolgte, waren mehr, als er ertragen konnte. Gargaglia fühlte sich in die Enge getrieben. »Sagen Sie mir noch, nachdem Sie sich alles auf die eigene Schulter zu laden wünschen – was haben Sie gegen die Juden?« säuselte Manasse sanft. »Die Juden? Sie sind. verschieden.«
    »Verschieden wovon?«
    Gargaglia verriet seine Gereiztheit durch eine rasche Gebärde. »Das wissen Sie sehr gut.«
    »Nun, ich weiß sehr gut, daß wir verschieden
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher