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Gott Braucht Dich Nicht

Gott Braucht Dich Nicht

Titel: Gott Braucht Dich Nicht
Autoren: Esther Maria Magnis
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nachvollzog. Auffordernd und gleichzeitig zustimmend, gutheißend. Ich war so erstaunt, ich weiß nicht, wie lange ich dasaß. Und dann war ich mir auf einmal ziemlich sicher, und es platzte aus mir raus: «Ach, du bist Gott?» Das ist Gott? Das meinten die Erwachsenen, wenn sie von ihm sprachen? Und weil ich ihn so lieb fand in seiner Zuneigung, hob ich meine Hand vom warmen Stein und winkte ihm ein bisschen zu.
    In meiner Dankbarkeit wollte ich ihm dann was schenken. Ich stand von den Steinen auf und dichtete ihm ein Gebet.
    «Ich schlafe, ich träume, ich geh zur Ruh,
    lieber Gott, beschütz mich Du,
    dass ich immer in Deinen Händen …»

    Und hier stockte ich, weil ich nicht wusste, wie ich es sagen sollte. «… dass ich immer in Deinen Händen auch den richtigen Weg soll … den Weg kann finden … muss finden.» Ich scharwenzelte an den Steinen entlang, blieb stehen, sah noch mal über das Meer, schweifte mit dem Blick zum Horizont. Aber da glitzerte auf einmal nur noch Mondlicht, und die Wellen schnauften gegen den Strand. Gott war vorbei. Da war ich etwas enttäuscht. Und ich verstand es nicht. «Er hätte ja auch bleiben können», dachte ich.
    «Steffi?», zischelte ich flüsternd, als wir an dem Abend dann im Bett lagen. Sie schlief noch nicht. Mama war gerade aus dem Zimmer gegangen und hatte das Licht ausgemacht.
    «Steffi?»
    «Ja?»
    «Ich glaub, Gott ist voll nett.»
    Sie schwieg erst.
    «Wieso?»
    «Der findet mich gut. Dich wahrscheinlich auch. Der ist voll nett, glaub ich.»
    «Ja», flüsterte sie zurück. «Glaub ich auch.»

    Die Gebete meiner Kindheit waren alle gereimt. Als ich in die Pubertät kam, bestanden sie hauptsächlich aus Rumsülzen. Na ja, nicht nur. Vor Mathe-, Chemie-, Physik-, Latein-, Französisch- und Englischklausuren habe ich sehr intensiv gebettelt. Wenn ich dann eine Vier plus hatte, habe ich gejubelt und «Geil! Danke» gesagt, wenn ich eine Fünf hatte, war ich stumm und hatte dieses ätzende Gefühl, das jeder kennt, der schon mal gebetet und sich das dazu nötige Vertrauen abgerungen hat und der dann vor dem gegenteiligen Ergebnis seiner Bitte saß. Ich dachte in solchen Momenten entweder: «Na ja, gut, du hast ja auch nicht genug gelernt, das gehört dazu, der Gott will ja nur dein Bestes, und ich soll aus Schaden klug werden», oder: «Was soll das, verdammt.»
    Es war in diesem Alter, so mit dreizehn, vierzehn, als ich irgendwie begann, mich leise von Gott zu trennen. Eine Trennung ohne Winken, ohne tschüs zu sagen.
    Als stünden wir am Flughafen auf einem dieser Transportbänder. Wir schauen uns an und werden in entgegengesetzte Richtungen weggetragen. Schweigend.
    Je mehr Predigten ich hörte, umso mehr bekam ich das Gefühl, dass ich nicht in seinem Sinn handeln und bestehen konnte, dass wir nicht viel miteinander zu tun hatten.
    Dieses Gefühl wurde durch den durchgeknallten Anspruch mancher Predigten erzeugt. Die waren wie Seiltänzer so hoch oben in der politischen Welt angesiedelt, gerne auch in Afrika und in der Außenpolitik, dass ich als Jugendliche dachte: Ich kann da eh nix machen. Der braucht mich nicht. Das war kein Achselzucken von mir. Das war reine Ohnmacht. Und die wurde unterstützt durch diese beknackten allgemeinen Phrasen aus den Achtzigern und Neunzigern, die mir irgendwann zum Hals raushingen: «Da darf man nicht wegsehen, man muss sich einmischen.» Und ich dachte: Wie lange soll ich denn in die Glotze gucken, wie lange soll ich mir die Bilder aus den Nachrichten anschauen, damit man mir nicht mehr vorwerfen kann, dass ich wegsehe? Wie soll ich mich denn da einmischen, bitte sehr.
    Dieselben Phrasen hörte man innerhalb wie außerhalb der Kirche. Ich weiß nicht, wer da wen übertreffen wollte. Ich erinnere mich, dass ich in meiner Schule einmal gegen den Golfkrieg demonstrieren sollte, mich «einmischen» sollte. Ich tat das nicht. Ich ging nach Hause, um Papa zu fragen, wo der Irak liege und was da los sei. Das hatte man versäumt zu erklären.
    In der Kirche, je nach Priester, je nach Predigt, schien Gott jemand zu sein, der eine bestimmte Form in der Welt haben wollte. Bei dem einen Priester hatte ich das Gefühl, dass das Himmelreich erst angebrochen ist, wenn alles wieder so ist, wie es einst in seiner Heimat und Jugendzeit im Harz der siebziger Jahre war. Bei einem anderen Priester oder Pfarrer, je nachdem, mein Vater war evangelisch, schien Gottes Wille vor allem der zu sein, dass die CDU abgewählt wird. Wieder ein anderer
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