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Gott Braucht Dich Nicht

Gott Braucht Dich Nicht

Titel: Gott Braucht Dich Nicht
Autoren: Esther Maria Magnis
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beschützt oder so. Ich verstand es nicht, aber ich schmetterte mit, und mein Bein wippte im Takt, wenn das Schlagzeug mit der Querflöte durch die Strophen stolperte. In solchen Momenten war mir nicht langweilig in der Messe. Das war gut. Ich wäre aber auch niemals freiwillig in die Messe gegangen, um diese Combo zu hören, nein, sie war, glaube ich, nur etwas für die Kinder, die eh schon da sitzen mussten.
    Die größte Revolution in unserem Haus gab es, als meine Eltern es wagten, uns Kinder zum zweiten Mal in einen ökumenischen Gottesdienst mitnehmen zu wollen. Meine Schwester schrie sofort laut auf, als sie das Wort hörte, ich sagte leise «Scheiß Ökumene», und meine Mutter wurde sauer.
    «Dein Vater und ich leben in einer ökumenischen Ehe. Es gibt Länder, da ist Krieg zwischen Protestanten und Katholiken. Ich will so was nicht hören.»
    «Scheiß Ökumene», sagte ich noch mal. Noch leiser.
    «Ihr seid gemein zu uns!», brüllte Steffi. «Ökumene dauert zehn Stunden. Bitte nicht, können wir bitte zu Hause bleiben? Das ist so schrecklich.» Meine Eltern hatten irgendwann Mitleid und ließen uns daheim. Der ökumenische Gottesdienst, den wir mitgemacht hatten, hatte zwei Stunden gedauert. Zuerst laberte der evangelische Pfarrer darüber, wie toll Ökumene sei, und dann, als man gerade dankbar seufzend beobachtet hatte, wie er die Kanzel verließ, kam ein katholischer Pfarrer und sagte noch mal das Gleiche: «Es ist gut, dass wir hier sind», und so Zeug. Alle fanden es gut, dass man da war. Nur wir Kinder nicht. Man stand nicht auf, nur zum Vaterunser, das schleppend im Chor gesprochen wurde und nur an einer Stelle holperte, wenn manche Katholiken, einschließlich wir drei Kinder, nach alter Gewohnheit sagten: «Ich glaube an die heilige katholische Kirche» anstatt «heilige christliche Kirche». Man kniete sich nicht hin, man tat eigentlich überhaupt gar nichts und war an die Bank gefesselt. Stundenlang. Ich habe es als körperliche Qual in Erinnerung.
    Wir gingen zwar meistens in die katholische Sonntagsmesse, waren aber auch oft in evangelischen Kirchen, weil mein Vater evangelisch war.
    Ich bemerkte bei meinen Eltern jedoch schon als Kind, dass sie teilweise ganz schön befreit und erleichtert in die Autositze plumpsten, wenn der Gottesdienst rum war.
    Einmal, das vergesse ich nie, jauchzte meine Mutter laut, als wir zu Hause ankamen. Sie warf sich in den Ledersessel, schwang ihre Beine über die Lehne, nachdem sie einen alten Schwarzweißfilm in den Videorekorder geschoben hatte, und sagte etwas wie: «Gell, Kinder, manchmal ist es doch schön, wenn man etwas geschafft hat.»

    Ich mochte Gott. In der Kirche war er mir oft langweilig, aber ich fand ihn grundsätzlich sehr interessant. Er schien etwas Wahnsinniges zu haben und etwas sehr Zartes.
    Er hatte offenbar den wilden Johannes in der Wüste gerne, der wie ein Sittenstrolch halbnackt mit einem Kamelfell rumrannte und rumbrüllte und Heuschrecken kaute. Und er schien den ekelhaft verrückt Besessenen zu mögen, der vollkommen wahnsinnig war. Und er redete wild mit dem Teufel. Und er befahl wild dem wilden Meer. Und er blutete am Kreuz aus dem Kopf, aus dem Rücken und war übersät mit Dreck und Schlägen – das war alles sehr wild.
    Manchmal hatte ich dann wieder das Gefühl, dass er eine Brille trug, einen Dutt und zusätzlich einen langen Bart und leer vor sich hin glotzte. Ich hörte von einem Pastor, dass Gott es nicht mochte, wenn Kinder sonntags, anstatt in die Messe zu gehen, lieber auf den Fußballplatz gingen. Diese Information verstörte mich total. Denn die Fußballspiele an den Sonntagen wurden nicht von Achtjährigen organisiert, sondern von den Trainern und manchen Eltern, und denen sollte man als Kind doch gehorchen, oder wie war das gemeint? Das fand ich ignorant von Gott und, sagen wir mal, unsortiert. Ich fand ihn dann einfach nur spießig und blöd. Nein, eher schlecht gelaunt, ja, das trifft es besser, aber solche Momente gingen vorbei, speicherten sich irgendwo ein, aber übertrafen nicht mein Interesse an ihm und meine Aufmerksamkeit, denn eigentlich und meistens fand ich ihn als Kind außergewöhnlich schön. Und außergewöhnlich freundlich. Und seltsam.
    Es gab einen Moment, ich war noch sehr klein, fünf oder sechs Jahre alt, als ich mir auf einmal sicher war, dass er da war. Ich glaube, dass meine Dankbarkeit über die Schönheit dieses Moments mich lange an ihn band.
    Es war am Atlantik. In Spanien. Nachts.
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