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Gott Braucht Dich Nicht

Gott Braucht Dich Nicht

Titel: Gott Braucht Dich Nicht
Autoren: Esther Maria Magnis
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überall gut an.
    «Malt doch mal Frieden.» Ich malte ihn so. «Stellt bitte irgendwie Liebe dar.» Ich malte sie so. «Heute geht es um Versöhnung.» Ich malte sie so. Das funktionierte ganz wunderbar, sofern die Lehrer wechselten und solange man malen und nicht diskutieren sollte. Da funktionierten dann wieder andere Sachen. Ich habe diese Bilder mehrmals in irgendeiner Unterrichtsstunde hingewurschtelt und eine Eins bekommen – und wusste schon vorher, dass ein Lehrer so einem Bild nicht widerstehen können würde. Er vermutete die Sehnsucht von uns Kindern dahinter. Ich vermutete seine Sehnsucht dahinter. Eins. Danke.
    Das Einzige, worin sich die Kirche von der Gesellschaft meiner damaligen Meinung nach unterschied, war, dass die Kirche Jesus besonders wichtig fand. Aber selbst an dem verlor ich, je mehr katholische und protestantische Beschreibungen in mein Hirn Einzug hielten, das Interesse.
    Ich hatte genug Freunde. Ich brauchte als Vierzehnjährige nicht noch einen Unsichtbaren und schon gar keinen orientalischen Pazifisten mit Schlappen und Vollbart, der sich für mich, wie ich dachte, eh nicht sonderlich interessiert hätte, weil ich weder Nutte noch Zöllner war, außerdem hatten wir einen Mercedes, der nicht durchs Nadelöhr gepasst hätte. So niedrigschwellig Jesus auch angeboten wurde, so wenig konnten meine Freunde und ich etwas mit ihm anfangen. Man konnte ihn neben Gandhi abhaken unter der Kategorie: «Der Typ war okay.»
    Und wenn ich die Fürbitten in der Messe hörte, sofern man sie verstand – sie wurden ja oft von Kindern vorgelesen, die eigentlich noch gar nicht lesen konnten, stark lispelten, Worte wie «Tschetschenien» nicht zu entziffern vermochten oder einfach zu klein für das Mikro waren –, bemerkte ich immer mehr, dass auch die Kirche selbst Jesus nicht wahnsinnig viel zutraute.
    «Guter Gott, viele Menschen leiden an schweren Krankheiten, schicke ihnen Menschen ans Bett, die ein gutes Wort für sie haben.» Ich war nicht ganz doof damals. Ich wusste, dass diese Fürbitte, wenn man sie ganz ausformulierte, so ging: «Guter Gott, viele Menschen leiden an schweren Krankheiten, wir bitten dich jetzt mal nicht um das Unmögliche. Da du ja meistens eh nichts tust und die Wundergeschichten von Jesus nicht überstrapaziert werden sollten, mach wenigstens, dass nette Menschen an das Bett der Kranken kommen – es ist quasi ein Angebot, das du nicht abschlagen kannst, und uns wird niemand vorwerfen, dass wir Hoffnung verbreiten, wo es keine Hoffnung gibt – wir halten den Laden hier zusammen. Du brauchst uns. Weil wir was tun können und du nicht.»
    Ich erinnere mich sogar an eines dieser grotesken Lieder, die ich singen musste: Irgend so was wie «Gott braucht deine Arme, weil er hat keine» oder so. Gott braucht deine Hände, damit er was tun kann, trallala, schubeschubedu, uh yeah. Mir leuchtete das damals sogar ein. Ich fand es total sinnvoll, so zu denken. Gott wurde immer kleiner. Und immer mehr wunderte ich mich darum darüber, dass sich die Welt und die Kirche nicht vertrugen. Die Schwelle zu glauben, war wirklich nicht mehr hoch.
    Einen Punkt hätte ich damals jedoch benennen können, an dem sich Kirche und Welt sehr deutlich trennten: Schuld und Sünde. Ein ganz seltsames Phänomen unserer Gesellschaft. Sünde, das Wort hasste man, fand man lächerlich. Als ich vor der Erstkommunion zum ersten Mal beichten musste, machten sich Eltern von Freunden darüber lustig: «Was hat so ein kleines Kind denn schon Böses getan», sagte die Mutter einer Freundin, und ich nickte nur gewichtig und dachte für eine Sekunde an den Frosch, den ich in ein Spielzeugauto gequetscht hatte, obwohl es definitiv zu klein für ihn war, und an das Mädchen, das ich mit meiner Schwester aus dem Dachbodenfenster gehalten hatte, nur weil es dann so schön heulte und man es trösten konnte, wie eine richtige, echte Mutter.
    Schuld. Da waren die Menschen immer empfindlich. Mit Schuldgefühlen, sagte man, habe man im Mittelalter die Massen kontrolliert. Und vor dem Mittelalter hatte man große Angst, weil es «so düster» war, wie man von Ken Follett wusste. Dieses Spiel mit Schuld warf man also der Kirche vor.
    Dabei seien Menschen, so hörte ich das im Fernsehen und auch in der Schule, durch ihr Umfeld geprägt. Schuld an sich gäbe es gar nicht. Das habe man sich nur ausgedacht, um die Beichtstühle zu füllen. «Wie verlogen von der Kirche», hörte ich. Und «wie verlogen», so dachte auch ich
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