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Gott Braucht Dich Nicht

Gott Braucht Dich Nicht

Titel: Gott Braucht Dich Nicht
Autoren: Esther Maria Magnis
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die eigene ist. Einer fremden. Sehr fernen und großen, die unbegreiflich ist. Alles zählt. Anders, als man dachte. Wir sind Könige in den Momenten dieses Glücks. Nackte Könige, die ihre Reiche verlieren. Es ist ein kleiner Tod, aber viel mehr als das. Denn der Tod kann nur die Stätten einreißen, er kann nur vernichten, neue Welten hat er nicht. Neue Ordnungen kann er nicht schaffen. Weil er Hierarchie nicht kennt. Und darum halte ich die seltenen Momente, in denen das Dasein auf einmal eine neue Ordnung erhält, eine Ordnung, die nur Gott geben kann, deren Wahrheitsgehalt und Wirklichkeit zur gleichen Gewissheit wird wie die Liebe zu meinen Geschwistern und meinen Eltern, für unendlich viel stärker als den Tod. Es sind die klarsten Momente im Leben. Man denkt nicht an vergangene Tage und sinnt nicht nach über das, was kommt, denn die Ordnung ist Gegenwart. Und Gegenwart ist kein Begriff aus der Zeit. Gegenwart ist die des Gottes.

8
    Ich glaube, die Liebe in uns zieht. Nicht nur in die Arme eines anderen Menschen. Nicht nur durch die Räume, in die äußeren Zimmer, an die Fensterscheiben, wo der Atem das Glas beschlägt. Ich glaube, sie zieht einen viel weiter. Sie ist wie ein Kleinkind, das nichts von Zeit weiß. So beharrlich. Sie kann nicht beruhigt werden. Nur vorläufig, aber nie ganz. Sie zieht. Zu Gott. Und darum leiden wir. Ich glaube, Gott fehlt uns. Ich glaube, wir vermissen Gott. Und wir sind verletzt. Nicht alle. Ich würde das niemals jemandem einreden wollen oder mich damit über Atheisten erheben wollen. Ich weiß, dass es gute Gründe gibt, nicht zu glauben. Aber manchmal denke ich, die meisten Menschen sind einfach nur traurig, dass er nicht da ist. Dass er schweigt. Und dass man darum selber irgendwann stumm wird. Ich habe damals langsam wieder zu sprechen begonnen. Ich weiß nicht viel. Ich habe aber die Gewissheit, dass das, was wir sagen, nicht an den Glasscheiben endet, nicht in der Luft verweht wird – es wird erwartet. Jede unserer Regungen wird in diesem Geist begleitet. Drängend, still, hoffend. Als ginge es um uns Menschen. Als hätten wir einen hohen Wert. Als würde das, was hier geschieht, irgendwie zählen, ob wir das wollen oder nicht. Wir sind da. Wir denken. Wir handeln.
    Ich bete, dass er mich führt. Dass meine Schritte an seiner Wahrheit entlanglaufen. Ich will mich nicht mehr entfernen von Gott.
    Es macht keinen Sinn.

9
    So hätte das bleiben können mit mir und Gott. Ich hätte ihm gedankt, ich hätte am Meer gestanden und gehofft, dass die Ahnung von Ewigkeit, die wir Menschen in seltenen Momenten erfahren, zur Wahrheit dieses Gottes gehört. Ich hätte beim Beten «Gott» gesagt, ohne zu definieren, zu wem oder was ich da spreche. Aber so blieb es nicht.
    Sonst hätte ich dieses Kapitel «Hellgrau» genannt – an der Grenze zu Weiß.
    Aber ich glaube eben nicht daran, dass Gott bloß ein abstrakter, unsichtbarer, ätherischer Gedanke ist, eine nackte, bodenlos wabernde Wahrheit, die, wenn überhaupt, nur mit dem Geist eines Menschen zaghafte Berührungen eingeht, die sich nur für die reine Vernunft interessiert. Für das Klare, Saubere. Daran glaube ich nicht. Denn ich komme aus keinem unschuldigen Land.
    Ich bin nicht mit einem sauberen Kaiserschnitt in die Welt geholt worden, sondern auf diese ziemlich gestörte, natürliche Art mit Tränen, Schweiß und Blut, und ich habe als Kind den Mohn auf den Feldern meiner Heimat nicht nur betrachtet, ich habe nach ihm gegriffen, ihn zwischen Hand und Lenkrad gequetscht und versucht, ihn zu besitzen. Und die Schweine, die hier geschlachtet wurden, habe ich gegessen.
    Meine Gebete waren nie ein Geflüster von Wind zu Wind, von meinem reinen Seelchen zu seiner reinen Klarheit. Meine Gebete waren randvoll mit Erde, mit Freude und Achselschweiß und Leid und Stuss und Langeweile. Ich glaube nicht an den göttlichen Funken in mir, der glitzernd aus der dunklen Welt heraus zum großen Licht hinbetet und dahin befreit werden will und sich wünscht, endlich erlöst zu sein von allem, was berührt werden kann. Ich gehöre zur berührbaren Wirklichkeit. Und dass durch die Wirklichkeit ein Riss geht, dass die Wirklichkeit dieser Welt auch ganz schön geschrottet und pervers ist, das kann ich nicht ändern. Auch nicht, indem ich mich von ihr distanziere. Ich gehöre dazu.
    Und mit dieser Einsicht endete mein Alleingang im Glauben. Denn ich verstand, dass mein Spatzenhirn nicht ausreichte, um Gott ganz neu und klar und rein zu
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