Good Girls

wir werden in Flammen aufgehen. Ich denke: Ich gehe von hier weg. Du gehst von hier weg. Es gibt zu viel zu tun und zu viele neue Leute. Wir sind siebzehn und achtzehn. Wir werden älter nach Hause kommen und uns fremder sein als je zuvor. Vielleicht ist es besser, alles so zu belassen, wie es ist. Noch hassen wir uns nicht …
    »He«, sagt er und drückt meine Hand. »Hör auf damit. Hör eine Sekunde lang auf zu denken. Es ist Sommer. Du kannst nicht wissen, was passieren wird.«
    »Aber ich –«
    »Du weißt nicht alles!«
    Er hat recht. Es gibt Millionen Dinge, die ich nicht weiß, wie man dieses Jahr gesehen hat. Warum keinen Versuch wagen? Stimmt, es ist Sommer. Vor uns liegen zwei volle Monate.
    »Komm schon, Audrey.« Er lässt meine Hand los und streckt die Arme hoch, als hielte ich eine Waffe in der Hand. »Ich behalte meine Flossen auch bei mir, wenn du das willst.«
    Ich bewundere seine langen Finger. Sie sehen stark aus, als könnten sie eine Weile durchhalten. Eine halbe Stunde vielleicht. Aber ich will mehr. Ich will seinen Kopf, vielleicht sogar sein Herz. Damit fange ich an. Und dann sehe ich, was passiert. »Na, gut«, sage ich. »Wir fahren morgen zum Strand.«
    Er lächelt. »Dann also bis morgen. Ist zehn Uhr zu früh?«
    »Nein. Um zehn bin ich fertig.«
    »Gut«, sagt er.
    Er springt auf und läuft die Auffahrt entlang. Dann macht er kehrt und kommt noch mal zurück.
    »Hast du was vergessen?«
    »Ja.« Er beugt sich vor und gibt mir einen Kuss. Einen zärtlichen, freundschaftlichen Kuss, den er mir noch nie zuvor gegeben hat.
    Als er weg ist, sitze ich noch lange auf der Veranda und sehe zu, wie die Wolken am Himmel vorüberziehen. Ich spüre den warmen Sommerwind, den Kuss auf meinen Lippen und versuche, ganz still zu sein, einfach nur zu sein . Es ist schwer, nur zu sein. Schwer, sich nicht zu beobachten, mit den anderenzu messen, zu vergleichen und einzustufen. Das erfordert Übung, und ich bin mir nicht sicher, ob ich es jemals schaffen werde. Dann fällt mir ein Spruch ein, vielleicht auch eine Zeile aus einem Lied. Dass wir alle denselben Himmel über uns haben und dieselben Sterne über uns leuchten und denselben Gott, der uns sein großes Lächeln schenkt. Das mag banal klingen, aber wahr ist es trotzdem. Unser Mond ist derselbe Mond. Unsere Sonne ist dieselbe Sonne. Und die Sterne leuchten über uns, ganz egal, wer oder wo oder was wir sind. Keine Schlampen, keine Herzensbrecher, einfach nur Menschen. Wir können alle zu ihnen aufblicken und sagen: Da ist der Südstern und da ist der Große Hundehaufen und da der Kleine Dummkopf.
    Funkel, funkel.

Über die Autorin
    Laura Ruby
    ist in New Jersey aufgewachsen, bevor es Handys gab. Sie hat einen Großteil ihrer unglücklichen Jugend damit zugebracht, traurige Gedichte zu schreiben und ihre Haare in allen möglichen Farbtönen zu färben, die in der Natur nicht vorkommen. Sie lebt mit ihrer Familie in Chicago. GOOD GIRLS ist ihr erstes Buch, das auf Deutsch erscheint.