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Gondeln aus Glas

Gondeln aus Glas

Titel: Gondeln aus Glas
Autoren: Nicolas Remin
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angetan mit Pluderhose, Weste und Turban, stand in der Salontür und verneigte sich so zeremoniell, als würde er gleich den Besuch einer königlichen Hoheit ankündigen.
    Dann aber war es nur Sergente Bossi, den er zu melden hatte. Der uniformierte Sergente trat ein, salutierte auf seine unmilitärische Art und fügte eine kleine, galante Verbeugung für die Principessa hinzu.
    Tron, bemüht, seine Frustration nicht zu zeigen, ging einen Schritt auf den Sergente zu. «Was ist los, Bossi?»
    Nicht dass er es nicht bereits ahnte. Sergente Bossi würde kaum wegen eines einfachen Einbruchs nachts bei der Principessa aufkreuzen.
    «Ein Mann im Palazzo da Lezze», sagte Sergente Bossi knapp und dienstlich. Es war klar, was er meinte. «Sein Diener hat ihn gefunden, als er nach Hause kam. Er hat sofort jemanden zur Wache an der Piazza San Marco geschickt.»
    «Wie heißt der Mann, der ermordet wurde?»
    «Geza Kostolany.»
    Der Name kam Tron vage bekannt vor. «Ist das  dieser Kunsthändler, der für den russischen Zaren kauft?»
    Bossi nickte.
    «Raubmord?»
    Bossi zuckte die Achseln. «Kostolany ist erdrosselt worden. Aber es scheint sich nicht um einen Einbruch zu handeln. Ob Bilder verschwunden sind, kann ich nicht beurteilen. Es sieht aber nicht so aus.»
    «Haben Sie Dr. Lionardo verständigt?»
    «Der müsste auf dem Weg sein.»
    Tron stellte fest, dass er den Mörder dafür hasste, sein Opfer nicht ein paar Stunden später umgebracht zu haben. Dieses Gefühl war völlig irrational, aber er konnte nichts daran ändern. Er wandte sich zur Principessa. Die stand direkt unter einem (für ihn) unbezahlbaren Kronleuchter aus Muranoglas, und Tron sah das Gold in ihren blonden Haaren aufblitzen.
    «Ich schlafe im Palazzo Tron», sagte er müde. Ob sie die Tragik heraushörte, die er in seine Stimme gelegt hatte? Ob sie sein Gefühl teilte? «Das alles», fügte er resigniert hinzu, «wird sich wahrscheinlich hinziehen.»
    Dann vertauschte Tron die rötliche Samtjacke, die er abends im Palazzo Balbi-Valier zu tragen pflegte, mit dem Gehrock und griff nach seinem Zylinderhut, den Massouda (oder einer der drei anderen Diener) ihm bereits reichte.
    Kein Zweifel, dieser Abend war im Eimer.

3
    «Saubere Arbeit», sagte Dr. Lionardo mit der ihm eigenen Heiterkeit, die ihn jedes Mal beim Anblick einer Leiche überkam. Er war neben dem Toten auf die Knie gegangen und betrachtete Kostolanys Hals mit dem verzückten Blick eines passionierten Sammlers, der gerade eine besonders seltene Münze oder einen besonders kostbaren Fayenceteller entdeckt hat.
    Dr. Lionardo drehte Kostolanys Kopf ein wenig nach links, damit Tron den Hals des Toten gebüh rend bewundern konnte. Um den zog sich rings eine blauschwarze, tief eingeschnittene Kerbe.
    «Dreißig Sekunden lang röcheln, dreißig Sekunden lang zappeln und dann – Exitus», fuhr  Dr. Lionardo mit angeregter Stimme fort. «Der Mörder hat dem Mann eine Schlinge über den Kopf geworfen und dann zugedreht. Vermutlich von hinten und vermutlich vor nicht allzu langer Zeit. Der Körper ist noch warm, und es gibt keine Anzeichen von Leichenstarre.» Er richtete sich auf und sah Tron an. Für einen Augenblick wurde sein Gesicht ernst.
    «Kein sehr angenehmer Tod, aber ein schneller.»
    Zehn Minuten nach Trons Ankunft hatte der medico legale am Wassertor des Palazzo da Lezze angelegt, begleitet von seiner üblichen Eskorte von zwei triefäugigen Gehilfen, deren Aufgabe darin bestand, die angefallenen Leichen auf eine Gondel zu verladen und ins Ospedale Ognissanti zu transportieren.
    Die neuen, spiegelverstärkten Petroleumlampen, die Sergente Bossi aufgebaut hatte, tauchten alles in ein helles, unwirkliches Bühnenlicht: den Toten, der mit bläulich verfärbtem Gesicht auf dem Boden lag, ein paar wenige exquisite Möbelstücke und an den Wänden, Rahmen an Rahmen, eine Bildersammlung, die es ohne weiteres mit der Sammlung der Principessa aufnehmen konnte. Bossi hatte seine Kamera bereits in Position gebracht und wartete ungeduldig darauf, dass Dr. Lionardo endlich das Feld räumte.
    Der war allerdings im Moment noch damit be schäftigt, die Hände des Toten sorgfältig, Finger für Finger, zu überprüfen, und machte nicht die geringsten Anstalten, sich zu beeilen.
    Tron ging auf der anderen Seite des Toten in die Hocke. «Gibt es Abwehrverletzungen?»
    Dr. Lionardo antwortete, ohne die Untersuchung der Finger zu unterbrechen. «Ich sagte Ihnen ja, dass der Mörder die Schlinge
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