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Gondeln aus Glas

Gondeln aus Glas

Titel: Gondeln aus Glas
Autoren: Nicolas Remin
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Pause.
    «Aber mehr darüber zu sagen wäre in diesem Ermittlungsstadium ein wenig zu spekulativ.»
    Oder der reinste Unsinn. Schon was er eben über einen möglichen zweiten Besucher gesagt hatte, war hart an der Grenze zum Unsinn, aber es hörte sich durchdacht an. Tron hatte das dringende Bedürfnis, ein paar Punkte zu machen.
    Bei Bossi hatte er Erfolg, denn der Sergente warf ihm einen respektvollen Blick zu. Dr. Lionardo allerdings gähnte demonstrativ. «Können wir abräumen, Commissario?»
    «Erst wenn Sergente Bossi seine Tatortfotografien gemacht hat», sagte Tron streng.
    «Seine was?» Dr. Lionardos Unterkiefer sackte herab.
    Na, bitte. Da hatte er den Doktor kalt erwischt.
    Tron lächelte freundlich. «Tatortfotografien sind au ßerordentlich wichtige Instrumente der Spurensiche rung», sagte er. «Es geht immer darum, die Indizienkette zu sichern. Die Pariser Sûreté arbeitet mit diesen Methoden.»
    Hatte ihm Sergente Bossi jedenfalls erklärt, auf dessen Drängeln hin das Kommissariat von San Marco eine fotografische Ausrüstung angeschafft hatte.
    Von Bossi hatte Tron auch Wörter wie Spurensicherung und Indizienkette übernommen – Wörter, mit denen sich immer Eindruck schinden ließ. Sergente Bossi, angehender Ispettore, war Mitte zwanzig und legte großen Wert darauf, auf dem letzten Stand der Kriminaltechnik zu sein. Kriminaltechnik – auch so ein neumodisches Wort.
    Tron wandte sich an den Sergente. «Wo ist der Diener, der Kostolany gefunden hat?»
    Bossi hob den Kopf, den er gerade unter das  schwarze Tuch seiner Kamera stecken wollte, und wies damit über seine Schulter. «In der Küche, Commissario. Die zweite Tür links.»
    «Steht der Mann unter Schock?»
    Darüber musste der Sergente erst nachdenken. Er hielt den schwarzen Stoff der Kamera in der Hand wie ein Leichentuch und rollte die Augen träumerisch nach oben. «Nein», sagte er. «Den Eindruck hatte ich nicht.»

    Tron hatte einen ältlichen Diener erwartet, doch der Mann erwies sich als ein Junge von fünfzehn, höchstens sechzehn Jahren. Er saß am Küchentisch und blätterte seelenruhig im Giornale di Padua. Als Tron die Küche betrat, legte der Junge die Zeitung beiseite und erhob sich langsam.
    Er war hoch gewachsen und schlank, hatte haselnussbraune Augen unter langen, dichten Wimpern.
    Seine leicht gebräunte Haut war glatt wie Porzellan.
    Die Mädchen, dachte Tron, rannten ihm wahrscheinlich die Bude ein. Und wahrscheinlich – überlegte er weiter – fanden ihn nicht nur die Mädchen attraktiv. Selbst er, der in erotischen Dingen eher konservativ disponiert war, konnte sich dieser Ausstrahlung nicht entziehen. Himmel, was dieser Junge für Augen hatte. Tron, über seine eigene Reaktion weniger irritiert als amüsiert, lächelte ihn an. «Ich bin Commissario Tron.»
    Der Junge kam hinter dem Tisch hervor und gab ihm die Hand. «Andrea Manin.»
    Seine Stimme war hell, dabei ein wenig verschleiert, so als hätte er gerade eine vertrauliche Mitteilung gemacht. Dazu passte der ebenso leicht verschleierte Blick, der zwischen dichten Wimpern hervor auf Tron abgefeuert wurde und an ihm hängen blieb – einen Augenblick länger, als nötig gewesen wäre. Das alles war auf eine traumhafte Art und Weise verwirrend. Wusste der Junge um seine Wirkung, die er nicht nur auf Frauen hatte? Erprobte er sie bei jeder Gelegenheit?
    Tron bat den Jungen mit einer Handbewegung,  wieder Platz zu nehmen. «Mein Sergente sagte mir, dass Sie die Leiche entdeckt haben. Wann ist das gewesen?»

    Der Junge hob die Schultern. «Kurz nach elf. Er lag auf dem Fußboden. Augen auf - starrer Blick.»
    Falls ihn der Tod Kostolanys schockiert hatte, ließ er es sich nicht anmerken.
    «Glauben Sie, dass irgendetwas gestohlen wurde?
    Vielleicht eines der Gemälde?»
    Ohne zu zögern, schüttelte der Junge den Kopf.
    «Nein. Ich kenne jedes einzelne Gemälde. Wenn etwas fehlte, hätte ich es sofort gesehen.»
    «Was haben Sie getan, nachdem Sie den Toten  gefunden hatten?»
    «Wieder abgeschlossen. Dann bin ich zur Wache auf der Piazza gerannt.»
    «Wo waren Sie, bevor Sie Signor Kostolany gefunden haben?»
    «Ich hatte meine Mutter in Padua besucht und
    kam direkt vom Bahnhof.»
    «Hat Sie im Zug irgendjemand gesehen?»
    «Der Schaffner. Er kennt mich.» Der Junge lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und runzelte die Stirn.
    Seine dunkelbraunen Samtaugen glitzerten wie Pailletten. «Stehe ich etwa unter Verdacht?»
    Ja, warum eigentlich nicht? Die
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