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Gondeln aus Glas

Gondeln aus Glas

Titel: Gondeln aus Glas
Autoren: Nicolas Remin
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Er lag hervorragend in der Zeit. Und gemessen an dem, was er eben vollbracht hatte, war der Rest des Unternehmens ein Kinderspiel.

2
    «Interessant», sagte die Principessa, ohne von dem Blatt aufzublicken, das Tron ihr gegeben hatte.
    Über das flache Tischchen hinweg, das zwischen ihnen stand, sah Tron, wie sie einen imaginären Fussel vom Papier schnippte. Ihr Rotstift kreiste über dem Blatt wie ein Bussard. Dass sie seinem Vorschlag folgen würde, war unwahrscheinlich. Das Programm war viel zu künstlerisch.
    Die Principessa hatte ihre übliche halb liegende Haltung eingenommen: den Rücken an die Lehne  der Récamiere gesenkt, die Beine übereinander geschlagen (einer ihrer Pantoffeln lag kokett auf dem Teppich), bot sie in ihrem Hauskleid aus mauvefarbener Kaschmirwolle ein Bild mondäner Eleganz, das gut zum verschwenderischen Luxus ihres Salons passte. Schon allein der kürzlich ersteigerte Secrétaire à abattant (von Riesener) am Fußende der Récamiere war zehn Jahresgehälter eines venezianischen Commissarios wert. Ein größerer Kontrast zur Sperrmüllaura des Palazzo Tron, wo die hellen Flecken auf den Tapeten verrieten, dass die Bewohner sich von ihren Tintorettos und Tiepolos hatten trennen müssen, war nicht denkbar. Im Palazzo Balbi-Valier herrschte eitel Überfluss. Im Palazzo Tron lebte man von der Wand in den Mund.
    «Alvise?»
    Tron sah von der Gazetta di Venezia auf, in die er sich zum Schein vertieft hatte. «Ja, Maria?»

    Die Principessa räusperte sich. «Das Programm ist für meinen Geschmack etwas unausgewogen.»
    Das klang weniger aggressiv als befürchtet. Tron hob seinen Kopf und drehte ihn über den Tisch wie einen gegen einen Pfeilhagel erhobenen Schild. «Inwiefern unausgewogen?»
    Das Lächeln, mit dem die Principessa seine Frage beantwortete, war jetzt ein wenig spitz. «Was, würdest du sagen, ist der Sinn dieses Balls?»
    «Die Einführung des Tron-Glases.»
    Die Augen der Principessa blieben unentwegt auf ihn gerichtet. Das bedeutete, dass die Befragung weiterging. Er liebte die Principessa heiß und innig, aber manchmal, fand er, war sie so … streng.
    «Was steht also an diesem Abend im Vordergrund?» Der Rotstift der Principessa zielte auf ihn wie der Lauf eines Revolvers.
    Tron hob die Arme. «Das Tron-Glas.»
    «Also nicht das Beiprogramm, sondern das Glas.
    Bei dir dominiert das Beiprogramm. Du willst die Potocki dreimal auftreten lassen. Zu Anfang, dann nachdem deine Mutter die Gäste begrüßt hat, und schließlich, nachdem ich die Kollektion vorgestellt habe. Bei dir gibt das Tron-Glas den Rahmen für ihr Klavierspiel ab und nicht umgekehrt.» Die Principessa warf einen genervten Blick über den Tisch. «Sei nicht albern und nimm die Arme wieder runter.»
    «Die meisten Leute hören lieber Chopin als Vorträge über Glasartikel», erlaubte Tron sich zu sagen.
    Diese Bemerkung gefiel der Principessa nicht.

    «Darum geht es aber, Tron. Nicht um die Präsentation dieser Polin.»
    «Diese Polin, meine Liebe, gilt als die beste Pianistin ihrer Generation. Außerdem war es deine Idee, die erste Glaskollektion ‹Mazurka› zu nennen.»
    Was insofern bemerkenswert war, als die Principessa, eine gusseiserne Verehrerin Mozarts, auch in der Musik alles irritierend fand, was keine klare Form besaß, und nie ein Hehl daraus gemacht hatte, dass sie das Slawisch-Sentimentale geradezu verabscheute.
    Aber ihre Idee, die erste Glaskollektion «Mazurka»
    zu nennen, musste Tron zugeben, war absolut vernünftig. Das Wort «Mazurka» brachte eine verkaufsfördernde Verbundenheit ihrer Produkte mit dem Habsburgerreich zum Ausdruck. Und für den Rest Europas – den Exportmarkt – ging von diesem Wort ein leicht exotisches Signal aus (weiß der Himmel, was die Leute sich dabei vorstellten), das den Verkauf dieser Glasprodukte wahrscheinlich unterstützte.
    «Und es war ebenfalls deine Idee», fuhr Tron fort,
    «Konstancja Potocki zu engagieren, um auf dem Ball ein paar Chopin-Mazurken zu spielen.»
    Die Principessa nickte. «Nur dass von mehr als ein paar Mazurken nie die Rede war. Aber jetzt will die Dame uns offenbar noch mit zwei Balladen und zusätzlich mit einem halben Dutzend Nocturnes beglü cken. Also mit mindestens neunzig Minuten Chopin.
    Das ist eindeutig zu viel.» Die Principessa verzog angewidert das Gesicht.
    Tron musste lächeln. Wie hatte sie die Musik  Chopins (die Tron gerne, wenn auch mit mäßiger Brillanz, auf seinem verstimmten Tafelklavier spielte) einmal
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