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Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Titel: Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra
Autoren: Roberto Saviano
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zum Müllentsorger werden. Dieser Kreislauf würde jedoch niemals funktionieren ohne die Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes, die ein Auge zudrücken und auf Kontrollen verzichten bzw. die Leitung von Gruben und Mülldeponien Leuten anvertrauen, die eindeutig mit kriminellen Organisationen zusammenarbeiten. Die Clans brauchen weder mit den Politikern einen Blutpakt zu schließen noch sich mit politischen Parteien zu verbünden. Es genügt, wenn sie einen Beamten, technischen Mitarbeiter oder Angestellten finden, der sein Gehalt aufbessern möchte, dann läuft das Geschäft diskret und wie geschmiert und ist für alle Beteiligten von Vorteil. Die Hauptakteure jedoch sind die Stakeholder, die in diesem Kreislauf der Müllentsorgung die Vermittlerrolle spielen. Sie sind die wirklich genialen Köpfe im kriminellen Geschäft mit gefährlichen Abfällen. Aus dem Dreieck zwischen Neapel, Salerno und Caserta stammen die gewieftesten Stakeholder Italiens. Stakeholder sind im Wirtschaftsjargon Personen oder Gruppen, die am Wirtschaftsgeschehen eines Unternehmens beteiligt sind und durch ihre Aktivitäten auf den ökonomischen Erfolg des Unternehmens direkt oder indirekt Einfluß nehmen. Die Stakeholder des Giftmülls spielen in der Abfallentsorgung längst eine tragende Rolle. In Zeiten, in denen ich keine Arbeit hatte, hörte ich oft den Spruch: »Du hast studiert, du kannst etwas, warum versuchst du’s nicht als Stakeholder?« Für Hochschulabsolventen aus dem Süden, deren Vater weder Anwalt noch Notar war, stellte dies einen sicheren Weg zu Geld und beruflicher Erfüllung dar. Mit einem Universitätsdiplom in der Tasche und passablem Aussehen wurden sie nach ein paar Jahren Aufenthalt in den Vereinigten Staaten oder in England, wo sie sich auf Umweltpolitik spezialisierten, zu Vermittlern im Müllgeschäft. Ich kannte so einen. Einen der ersten und besten. Erst als ich ihm zuhörte und mehr von seiner Tätigkeit mitbekam, begriff ich, was es mit der Müllentsorgung auf sich hat. Er hieß Franco, ich hatte ihn im Zug kennengelernt, auf der Rückfahrt von Mailand. Er hatte an der Universität Bocconi studiert und sich anschließend in Deutschland auf Landschaftsplanung spezialisiert. Ein guter Stakeholder muß den Europäischen Abfallkatalog in- und auswendig kennen und wissen, wie man sich in ihm zurechtfindet. Erst dann öffnet sich der Weg, wie mit den giftigen Abfällen zu verfahren ist, wie sich die Vorschriften umgehen lassen und welche Tricks man anwenden muß. Mit diesen Kenntnissen gewappnet, bietet der Stakeholder den Unternehmen seine Dienste an. Franco stammte aus Villa Literno, und er wollte mich überreden, bei ihm einzusteigen. Als er mir von seiner Arbeit erzählte, fing er mit dem äußeren Erscheinungsbild des
    Stakeholders an, den eisernen Grundregeln für eine erfolgreiche Berufslaufbahn. Falls seine Haare spärlicher würden und er kahle Stellen bekäme, dürfte er auf keinen Fall zu Toupet oder Perücke greifen. Um seine Glaubwürdigkeit zu behalten, verbot es sich auch, die Frisur so zu manipulieren, daß die seitlichen Haare die kahlen Stellen auf dem Kopf überdeckten. Am besten, man rasierte sich gleich den ganzen Schädel. War der Stakeholder zu einem Fest oder Empfang eingeladen, ging er am besten in Begleitung einer Frau und vermied den Eindruck, als würde er hinter jedem Rock herlaufen. Wenn er keine Freundin hatte oder keine, die bei derlei Anlässen mithalten konnte, kam der Stakeholder nicht darum herum, bei einem Begleitservice eine elegante, stilvolle Eskortdame zu buchen. Die Vermittler in Sachen Müll werden bei chemischen Betrieben, Gerbereien und Plastikfabriken vorstellig und legen ihre Preisliste vor.
    Müllentsorgung kostet Geld, doch kein italienischer Unternehmer hält es für notwendig, dafür zu bezahlen. Von den Stakeholdern hört man immer wieder den Satz: »Sie kümmern sich mehr um die Scheiße, die sie kacken, als um den Abfall, dessen Entsorgung sie ein Schweinegeld kostet.« Die Vermittler dürfen allerdings keinesfalls den Eindruck erwecken, eine kriminelle Dienstleistung anzubieten. Sie stellen den Kontakt her zwischen den Industrieunternehmen und den Müllentsorgern der Clans und koordinieren den Ablauf aus der Ferne.
    Es gibt zwei Arten von Müllproduzenten. Den einen geht es einzig und allein darum, ihren Abfall möglichst kostengünstig zu entsorgen, ganz gleich, wie vertrauenswürdig die Firmen sind, denen sie den Auftrag erteilen. Sie fühlen sich
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