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Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Titel: Golem und Dschinn: Roman (German Edition)
Autoren: Helene Wecker
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eine Gnade für dich?
    Auch damit hatte er halbwegs gerechnet. »Wenn ihr mir die Wahl lasst«, sagte er, »dann möchte ich das bei allem Respekt ablehnen. Ich habe versprochen zurückzukehren, und möchte dieses Versprechen nicht brechen.«
    Sie konferierten noch einmal, diesmal hitziger als zuvor. Er betrachtete sie und fragte sich, wer seine nächsten Verwandten waren. Doch es wäre sinnlos, sich danach zu erkundigen, da er seine Abstammung nicht genau benennen konnte. Und was hätte er von der Antwort, da sie doch Fremde bleiben würden?
    Wir haben eine Entscheidung getroffen
, sagte die Dschinniya schließlich.
Wir werden die Seele des Hexers sicher bewachen. Das wird unsere Aufgabe sein und die unserer Nachkommen, bis du von dieser Erde gehst.
    »Danke«, sagte er erleichtert.
    Sie führten ihn zu einer Lichtung in der Siedlung, und dort vergrub er die Flasche. Die Ältesten sahen zu, während er mit den Händen ein Loch in dem grobkörnigen, harten Boden aushob. Er legte den Stapel Papiere dazu und füllte das Loch, dann stapelte er so eng wie möglich Steine darauf. Als er fertig war, hatten sich alle Bewohner der Siedlung eingefunden. Ihm war schmerzlich bewusst, dass er Ibn Maliks Seele seinen kapriziösen Artgenossen anvertraute. Aber immer noch besser, als sie in New York zu vergraben, wo die Flasche und die Papiere, gleichgültig wie tief sie in der Erde lagen, früher oder später wieder auftauchen würden, wenn ein neues Gebäude, eine neue Brücke oder ein weiteres Denkmal errichtet wurde. Die Wüste hingegen schienen die Menschen noch nicht erobert zu haben.
    Aber wie willst du leben, gefesselt und gebunden, wie du bist?
, fragte die älteste Dschinniya, als er sich die Hände wischte.
Was willst du tun, wohin willst du gehen?
    »Ich gehe nach Hause«, sagte er. Als er die Siedlung verließ, sahen ihm tausend Augen nach.
     
    Sein Palast stand noch glitzernd im Tal.
    Er war natürlich beschädigt. Die Außenmauern waren verwittert, vom Sand milchig trüb geschliffen. Die größeren Türme waren eingestürzt, glatte bläulich weiße Scherben lagen auf dem Talboden. An manchen Stellen war das Glas dünn wie Papier. An anderen war es völlig verschwunden, stattdessen befanden sich dort runde Löcher wie Bullaugen, die das Innere den Elementen öffneten. Er ging hinein, trat über Schutt. Sand lag verweht in den Ecken; das Dach sah aus wie eine Bienenwabe. Er entdeckte Vogelnester, Abfälle von Tiermahlzeiten.
    Im großen Saal fand er die Überreste von Fadwa und Abu Yusuf.
    Die Mauern des Saals waren dick, und der Mann und seine Tochter hatten hier in Frieden gelegen, bis die Wüstenluft sie so ausgetrocknet hatte, dass Tiere keinerlei Interesse mehr an ihnen hatten. Er setzte sich vor ihre Überreste im Schneidersitz auf den sandigen Boden. Er dachte an Salehs Beerdigung ein paar Wochen zuvor. Maryam hatte sich an die kleine muslimische Gemeinde in Little Syria gewandt und einen Mann gefunden, der sich als Imam zur Verfügung stellte. Arbeely, Sayeed Faddoul und der Dschinn hatten Saleh gewaschen und ihn in weiße Tücher gewickelt; und dann hatte er im Grab gestanden, um den Leichnam entgegenzunehmen. Danach waren sie alle in Faddouls Kaffeehaus gegangen, und er hatte zugehört, während sie über Saleh sprachen und das wenige erzählten, was sie über ihn wussten.
Er war ein Heiler
, hatte Maryam gesagt, und die anderen hatten sie fragend angesehen; aber der Dschinn hatte gesagt:
Es stimmt, er war ein Heiler.
Er wünschte, jemand wäre jetzt bei ihm, dem er von dieser jungen Frau und ihrem Vater erzählen könnte, von ihrem Leben und den Angehörigen, die sie zurückgelassen hatten. Er dachte an Sophia Winston, die bald Istanbul erreichen würde und dann nicht allzu weit von ihm entfernt wäre. Aber er würde sie nur stören, sie mit seinen Sorgen belästigen, wo sie doch gerade ihre langersehnte Reise begann.
    Er wollte Fadwa und ihren Vater begraben, wie Saleh begraben worden war, aber ihre Überreste waren zu zerbrechlich, um sie zu bewegen. Stattdessen sammelte er das Glas ein, das von seinem Palast gefallen war, und baute ein Grabmal um sie herum. Er erhitzte die Teile, sodass die Kanten miteinander verschmolzen, und glättete sie mit den Händen. Zuerst baute er die Mauern, dann die Kuppel darüber. Es war harte Arbeit. Mehrmals musste er nach draußen in die Sonne gehen, um seine Kräfte zu regenerieren.
    Schließlich war er fertig. Er überlegte, ob er ihre Namen in das Glas ritzen sollte.
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