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Goldmacher (German Edition)

Goldmacher (German Edition)

Titel: Goldmacher (German Edition)
Autoren: Gisela Stelly
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Moment abzupassen. Seine ersten Lektionen darin bekam er vor vielen Jahren in Trastevere von seinem Freund Remo. Zum ersten Mal gelungen, genau im richtigen Moment zuzuschlagen, war es ihm damals bei dem Deutschen. Weil er es wollte. Er wollte diesem Deutschen die Brieftasche aus der Hosentasche ziehen. Er hatte Remo überreden müssen. Remo wollte stets nur in der Gegend um die Spanische Treppe herum mit ihm üben. Wegen der vielen Touristen würde es dort weniger auffallen. Aber an jenem Tag wollte er, Francesco Leone, in Trastevere trainieren, und er hatte darauf bestanden, dass der Deutsche sein Opfer sein würde. Dieser Mann hatte schließlich seine Mutter beleidigt. Er hatte sie nicht nur angestarrt, er war ihr, als sei sie eine Putana, eine Hure, sogar gefolgt. Für diese Beleidigung, die der Mutter erst die Röte bis hinunter zum Hals ins Gesicht trieb, sie dann leichenblass werden ließ, hatte der Deutsche büßen müssen. Er hatte Remo nicht den Grund für seinen Zorn auf den Deutschen verraten, das wollte er mit sich selbst ausmachen.
    Große Anerkennung hatte er dann von Remo dafür geerntet, wie er mit seinen aufs Äußerste geschärften Sinnen instinktiv den richtigen Moment erkannt und zugegriffen hatte. Dieser erste richtige Moment hatte ihn geprägt. Von da an wusste er, wie er sich anfühlte.
    Er hatte dem Deutschen die Brieftasche dann wieder zurückgegeben. Ihn aber dafür, weil es die Mutter trotz der Beleidigung gefordert hatte, noch mehr gehasst.
    »Signore Leone, ich habe Sie etwas gefragt«, drang die Stimme von Pia durch Francescos Erinnerungen.
    Er sprang auf, als sei noch immer der alte Hass in ihm lebendig.
    »Wir brechen ab«, sagte er nun tatsächlich mit zorniger Stimme, nahm seine Aktentasche, nickte Pia und ihren Beratern zu, ohne sie anzusehen, und verließ, gefolgt von seinen überraschten Begleitern, den Konferenzraum.
    Es sei mal wieder der genau richtige Moment gewesen, versicherten die Kollegen Francesco während des Rückflugs nach Mailand am nächsten Abend. Die Gegenseite hatte sich am Tag darauf dann verhandlungsbereiter gezeigt und nachgegeben. Die Kollegen ließen die Korken knallen, die Stewardess öffnete einen Piccolo nach dem anderen.
    Francesco feierte nicht mit. Das blasse Gesicht der Frau ging ihm nicht mehr aus dem Sinn. Sie schien vor ihm zu stehen und ihn anzublicken, und ihre Augen sagten: Du hast mich betrogen.
    Noch nie war er bei seinen Geschäften jemals auf die Idee gekommen, ein Betrüger zu sein. Es gehörte zum Geschäft, das Beste herauszuschlagen. Doch nun empfand er seinen Erfolg nicht als Sieg, er fühlte sich wie nach einer Niederlage.
    Vielleicht weil sie eine Frau ist, dachte Francesco, er hatte noch nie mit einer Frau als Vertreterin eines Familienunternehmens Geschäfte gemacht, die auch noch für ihren Vater eingesprungen war. Bei diesem Gedanken fühlte sich Francesco noch elender und überlegte nun, ob die Verträge zugunsten des Verkäufers zu modifizieren wären.
    Doch am nächsten Tag gingen diese Gedanken und Gefühle in den üblichen Turbulenzen im Büro unter. Sie brachen mit Macht wieder hervor, als er kurze Zeit darauf vom Tod des Patrone von Solotel erfuhr, dem Vater der Signora Münzer. Am Wochenende sprach er gegen seine Gewohnheit zu Hause bei Tisch darüber. Er hatte es immer vermieden, mit Sophia vor den Kindern oder vor Laura über seine Geschäfte zu reden. Aber an diesem Wochenende erzählte er Sophia vor Laura und den Kindern, die sonntags zum Mittagessen aus Mailand anreisten, die traurige Geschichte von der Signora Münzer, von dem Zusammenbruch ihres Familienunternehmens und von dem Tod ihres Vaters, des Signore Münzer.
    Plötzlich legte Laura Messer und Gabel beiseite. Sie hatte das Essen kaum angerührt. Sie stand vom Tisch auf und ging wortlos hinaus.
    »Sie fühlt sich schon seit Tagen nicht gut«, meinte Sophia, stand auch auf und folgte der Schwiegermutter.
    Mitten in der Nacht, als alle bereits schliefen, Francesco aber vor dem Fernsehapparat saß, er war aufgewacht und konnte nicht wieder einschlafen, stand Laura plötzlich neben ihm. Über ihrem Nachthemd trug sie einen Morgenmantel. Sie hielt ein gefaltetes Stück Papier in der Hand.
    »Ist das der Name?«, fragte sie mit seltsam leiser Stimme.
    Francesco hatte sie nicht bemerkt und sah verwundert zu ihr auf. Sie schien in höchster Erregung zu sein, ihre Augen glänzten und ihr Gesicht zeigte eine völlig ungewohnte Blässe, das Papier in ihrer Hand vibrierte
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