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Goldmacher (German Edition)

Goldmacher (German Edition)

Titel: Goldmacher (German Edition)
Autoren: Gisela Stelly
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oder Trümmer, die in die Tiefe stürzten? Feuerwehrmänner wurden von Rauchschwaden verschluckt, hineingesogen in qualmende Schlünde. Ein Inferno von kleineren und immer größeren Zusammenbrüchen. Wabernder Staub, ein Skelett wurde sichtbar. Knickte ein. Krümmte sich. Schmolz im Staub. Eine staubige, qualmende Grube. Ground Zero.
    »Es ist nicht zu verstehen, auch wenn ihr das Ganze von Anfang bis zum Ende noch zehn Mal wiederholt!«, protestierte der Mitarbeiter aus dem Kulturressort und verließ den Raum.
    »Das World Trade Center! Das Welthandelszentrum! Zerstört! Versteht ihr!«, rief ein Mitarbeiter.
    »Das ist eine Kriegserklärung an Amerika«, sagte ein Mitarbeiter aus dem Auslandsressort.
    »Das ist der Totalangriff auf unsere Märkte!«, rief ein Wirtschaftsredakteur.
    »Das ist ein Totalangriff auf unsere gesamte westliche Welt«, versicherte ein anderer vom Deutschlandressort, dann redeten alle durcheinander. »Eine Zeitenwende!« »Der Anfang vom Ende!« »Der Untergang des Abendlands!« »Es wird einen neuen Kreuzzug geben!«, sagte jemand.
    »Wollt ihr den Zusammenschnitt noch einmal sehen?«, unterbrach Simon.
    Alle stöhnten auf und lehnten ab, Anton jedoch wollte. Einige Mitarbeiter schlossen sich ihm daraufhin an, verließen aber dann doch bald den abgedunkelten Raum. Auch Moritz und Simon verabschiedeten sich, legten die Fernbedienung neben Antons Notizblock, warfen neugierig einen Blick darauf, kein einziges Wort stand bisher auf dem weißen Papier. Sie legten kurz ihre Hand auf seine Schulter und Anton blieb allein zurück.
    Als er den Zusammenschnitt zum zweiten Mal gesehen hatte, nahm Anton die Fernbedienung und ließ den Film zurücklaufen bis zu den ersten Bildern von Ground Zero, dann hielt er das Bild an. Er dachte: Sie wird sie wahrscheinlich aus diesem qualmenden Loch, aus dieser Grube, aus Ground Zero leuchten sehen, aufsteigen sehen, die Nuggets of Gold, die Goldkerne all der Menschen, die hier verglüht, die hier zu Staub, zu Atomen zerfallen sind.
    Er sah Liane vor sich und hörte ihre Stimme.
    Dann sah er die Türme, die nicht mehr da waren, zwei stolze und mächtige Türme, Zwillingstürme. Und jetzt wieder die Grube und den nebligen Dunst, der sie umgab. Was sollte er nur dazu sagen? Hatte er überhaupt etwas dazu zu sagen? War er nicht eigentlich völlig sprachlos? Was sollte er nur in den Kommentar schreiben, zu dem ihn seine Mitarbeiter überredet hatten?
    Antons Blick fiel auf das leere Blatt seines Notizblocks. Er griff nach seinem Füllfederhalter, seiner alten Waffe im Geschäft des Drachentötens. Nur noch selten hatte er sie in den letzten Jahren eingesetzt. Obwohl sie sich mächtig ausgebreitet hatte, die verwunschene Drachenbrut, jene selbstsüchtige Gier der Gewinner nach noch mehr Geld und noch mehr Macht. Er legte den Federhalter auf das unbeschriebene Blatt Papier und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.
    Er war bereits im Bett gewesen, als gestern Nacht das Telefon nebenan in seinem Arbeitszimmer klingelte. Er wollte es überhören, doch es hatte nicht aufgehört, bis er schließlich doch aufgestanden war und den Hörer abgenommen hatte. Luzie sprach sehr leise, er hatte sie zunächst kaum verstehen können. Sie sei krank, flüsterte sie wie heiser, fühle sich elend. In fieberhafter Eile hatte sie dann etwas über eine erfolgreiche Globalisierung der Eifersucht gesagt, von einer entfesselten massenhaften Eifersucht gesprochen, die an eine entgrenzte Konsumgüterproduktion gekoppelt sei, und von der Rache der Verlierer. Danach wurde ihre Stimme etwas lauter: Das wichtigste Projekt der Zukunft sei, das stehe seit Dienstag 9 Uhr 03 morgens nach New Yorker Zeit fest, diese ganze Entfesselung wieder unter Kontrolle zu bringen!
    »Bist du noch da?«, hatte er gefragt, nachdem es unvermittelt still geworden war.
    Wie heiser hatte sie darauf geantwortet: »Satan treibt den Satan aus! Lies es nach, Markus 3,23–26. Das ist heute meine Lektion für dich.« Es klickte, sie hatte aufgelegt.
    Er hatte das Licht ausgemacht, in die Dunkelheit gestarrt und gewusst, sie würde kommen, die Erinnerung, und dann kam sie auch. Er hatte erst nur die Stimme der Mutter gehört, danach hatte er Katharina vor sich gesehen, wie sie sich damals vor dem Volksempfänger, aus dem die Siegesnachrichten im ersten Kriegsjahr ins Wohnzimmer dröhnten, bekreuzigt und dabei gemurmelt hatte »Satan treibt den Satan aus«.
    Jetzt hatte er das Licht wieder angemacht, war wieder aufgestanden und
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