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Goldfieber

Goldfieber

Titel: Goldfieber
Autoren: Andreas Gößling
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Palast zu entführen und in seiner eigenen Stadt als Geisel festzuhalten.
    »Und wenn sich die Spanier tatsächlich entschließen, heute Nacht abzuziehen«, fragt Carlita ihren Cousin, »glaubst du denn, dass Cuitláhuac sie gehen lässt?«
    Mixtli zuckt wieder mit den Schultern. »Zurückhalten wird er sie bestimmt nicht. Deshalb bin ich hier, wie Carapitzli es wünschte«, wendet er sich an mich. »Wenn du willst, bringe ich dich zu deinen Leuten zurück. Aber du musst dich sofort entscheiden.«
    »Gib uns noch einen Moment«, sagt Carlita mit einem bittenden Lächeln. »Wir nehmen nur noch Abschied.«
    Ich will ihr widersprechen – schließlich liegt es bei mir, ob ich bei ihr bleiben oder Cortés folgen will! Aber ich schließe meinenMund wieder, ohne eine einzige Silbe hervorzubringen. Wäre Cortés nicht zurückgekehrt, dann sähe alles anders aus. Aber so bleibt mir keine Wahl.
    Ich ziehe meine alten Kleidungsstücke und meine Stiefel wieder an. Das silberfarbene Gewand lasse ich auf dem Heubett zurück. Carlita umwickelt unterdessen die Papiere aus meinem Bündel mit Palmblättern und Wachstuch. »Gegen den Regen«, sagt sie, und obwohl mir das reichlich übertrieben vorkommt, wende ich nichts ein.
    Wir umarmen uns ein letztes Mal. Wir klammern uns aneinander wie zwei Gebirgskletterer, die kurz vor dem Gipfel abgestürzt sind und eng umschlungen den Steilhang hinabkollern. Oder nein, denke ich dann: Zwei Tage und Nächte durften wir zusammen auf dem Gipfel des Glücks verbringen. Und in meinem Herzen, Carlita, sind wir für immer vereint.
- 5 -
    Auf geheimen Wegen bringt mich Mixtli an den westlichen Stadtrand. Tatsächlich hat leichter Regen eingesetzt und die Gestirne sind hinter dunklen Wolken verborgen. Längst hat der Götzenpriester auf der Großen Pyramide in seine Muscheltrompete geblasen – Mitternacht ist vorbei.
    »Bleib hier im Graben«, flüstert mir Mixtli zu. Die Nacht ist so finster, dass ich nur seine Zähne und das Weiße seiner Augen sehe, obwohl er direkt neben mir kauert. »In ein paar Minuten wird deine Räuber- und Mörderbande hier sein.« Ehe ich etwas antworten kann, ist er auf und davon.
    Räuber und Mörder, denke ich, weniger empört als verwundert – sind wir wirklich nichts anderes?
    Der Regen wird stärker. Mein Gewand, meine Haare triefen vor Nässe. In Gedanken kehre ich zurück zu Carlita und mein Herz zieht sich schmerzlich zusammen. Warum bin ich nicht für immer bei ihr geblieben? Doch wie Aguilar als Fremder unter denIndianern zu leben, mich von Kopf bis Fuß tätowieren zu lassen, ihre Bräuche anzunehmen, gar bei den Götzenfeiern mitzutun – nein, das könnte ich nicht. Und Carlita würde es in meiner Welt genauso gehen – aber wo und was soll das überhaupt sein, schießt es mir dann durch den Kopf: meine Welt? Aus der Alten Welt verjagt, aus der Neuen verstoßen!, denke ich wieder – doch ehe jener dunkle Zorn von mir Besitz ergreifen kann, beschwöre ich Carlitas liebes Gesicht erneut in mir herauf. Und sogleich wird mir ein wenig leichter ums Herz.
    Der Graben, in dem ich kauere, zieht sich entlang der Straße zum westlichen Stadttor, hinter dem der eigentliche Dammweg zum Seeufer beginnt. Doch auch hier, auf der letzten Meile innerhalb der Stadt, verläuft die Straße schon auf dem Damm durch den See. Da und dort erheben sich ärmliche, eingeschossige Häuser am Straßenrand, auf Pfählen errichtet oder waghalsig in den Schlamm gebaut, der sich im Lauf der Zeit an den Damm angelagert hat. Unmittelbar dahinter erstreckt sich die weite Fläche des Sees. Tropfen prasseln darauf nieder und Nebelschwaden wehen über dem Wasser umher.
    Von der Stadt her nahen nun Schritte, gedämpft und doch von so zahlreichen Füßen, dass es wie leises Donnern klingt. Ich ducke mich tiefer in den Graben und starre zugleich angestrengt nach links. Doch es vergehen noch unzählige weitere Augenblicke, bis ich endlich die Spitze unseres Zuges herannahen sehe.
    Der Nebel wird immer dichter, der Regen stärker. Nur mit Mühe erkenne ich Sandoval und Tapia, die auf ihren Pferden vorwegreiten – zumindest diese beiden haben also alle Kämpfe überlebt! Der »Tollkühne« trägt seinen linken Arm in der Schlinge und der »Würdevolle« hat einen Verband um seine Stirn gewickelt, doch sie wirken beide munter und bei Kräften. Ihnen folgen rund zweihundert Fußsoldaten, und fast jeder von ihnen weist irgendeine Verwundung auf. Etliche ziehen ein Bein nach, viele tragen Verbände um Kopf
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