Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Goldfieber

Goldfieber

Titel: Goldfieber
Autoren: Andreas Gößling
Vom Netzwerk:
du, Carlita?«
    Sie wirft sich eines der silberfarbenen Gewänder über, die an der Quelle für uns bereitgelegen hatten, und widerstrebend folge ich ihrem Beispiel. Nur ein paar Atemzüge später tritt ein junger Azteke zu uns in den Tempelraum, in der Hand eine brennende Fackel.
    »Das ist Mixtli, ein entfernter Cousin von mir«, sagt Carlita und heißt ihn freundlich willkommen. Er verneigt sich ehrerbietig vor ihr und grüßt mich mit einem knappen Kopfnicken.
    »Drei Tage lang sind unsere Krieger gegen die Festung der Bärtigen angerannt«, beginnt er ohne weitere Umschweife zu berichten. »Sie haben den Palast mehrmals in Brand gesteckt, doch den Fremden gelang es immer wieder, das Feuer zu löschen. Sie haben Breschen in die Außenmauern geschlagen und die Bärtigen Tag und Nacht von den umliegenden Dächern mit Steinen bombardiert. Die Gegenwehr der Fremden wurde immer schwächer, und gestern früh schien unser Sieg fast schon sicher zu sein – doch dann ist ihr Anführer Cortés aus dem Tiefland zurückgekehrt.«
    »Er ist wieder da?«, rufe ich aus und versuche vergeblich, meine Freude zu verbergen.
    Mixtli wirft mir einen düsteren Blick zu. »Wie er das angestellt hat, weiß ich nicht«, antwortet er, »aber er hat seine Gegner bei Cempoallan überrumpelt. Der andere Bärtige, der ihn gefangennehmen sollte, ist tot, und seine gesamte Streitmacht ist zu Cortés übergelaufen. Gestern ist er mit tausenddreihundert Eisenmännern und noch einmal so vielen tlaxcaltekischen Kämpfern über den großen Dammweg zurückgekehrt. Es kam erneut zuerbitterten Kämpfen mit unseren Kriegern, die gestern und heute fast ununterbrochen andauerten. Momentan ist im Herz Unserer Welt alles ruhig, aber es ist eine trügerische Ruhe.«
    Ich schaue von Carlita zu ihrem Cousin. »Eine trügerische Ruhe?«, wiederhole ich. »Wie meinst du das, Mixtli?«
    Er wirft mir wieder einen finsteren Blick zu, und Carlita sagt mit einem begütigenden Lächeln: »Orteguilla kann nichts dafür, ich habe es dir doch erklärt.«
    Mixtli zuckt mit den Schultern. »Mehr als dreißigtausend unserer Krieger sind bei den Kämpfen gefallen«, berichtet er weiter. »Auch von den Bärtigen sind etliche umgekommen, vielleicht zweihundert oder ein paar mehr und wenigstens fünfhundert von den tlaxcaltekischen Aasfressern. Der Große Cuitláhuac schätzt, dass die Fremden außerdem drei- oder vierhundert Verletzte zu beklagen haben.«
    Cuitláhuac!, schießt es mir durch den Kopf. Er hat es also geschafft, die Macht an sich zu reißen! Und obwohl es wirklich der reine Wahnsinn ist, empfinde ich abermals eine seltsame Genugtuung.
    »Die Bärtigen sind also ziemlich am Ende«, berichtet Mixtli weiter, »zumal sie heute Abend auch noch ihr letztes Faustpfand verloren haben.«
    »Ihr letztes Faustpfand«, fragt Carlita. »Heißt das, unsere Krieger haben Montezuma doch noch befreit?«
    »Im Gegenteil«, antwortet ihr Cousin. »Die Bärtigen haben ihn auf das Palastdach gebracht, damit er unsere Krieger auffordert, die Waffen niederzulegen. Aber er kam über den ersten Satz nicht hinaus: Eine Salve von Steingeschossen ging auf ihn und seine Begleiter nieder und Montezuma wurde tödlich am Kopf und an der Brust getroffen. Vorhin haben die Bärtigen seine Leiche vor ihrem Tor auf den Platz gelegt. Unsere Leute haben sich daraufhin mit dem toten Montezuma zurückgezogen. Cuitláhuac ist sich sicher, dass die Fremden noch heute Nacht ihr Heil in der Fluchtsuchen werden. Und ich glaube, er hat recht: Sie haben nichts mehr in der Hand! Sie haben seit Tagen nichts mehr zu essen bekommen und mindestens die Hälfte von ihnen ist mehr oder weniger schwer verwundet.«
    Mixtli verstummt und ich denke bedrückt über seine Worte nach.
    »Sie haben noch die anderen Fürsten als Geiseln«, wende ich schließlich ein. »Cacama und die Herrscher von Itzapalapa und …«
    Er schneidet mir mit einer müden Handbewegung das Wort ab. »Sie sind alle tot«, sagt er. »Deine Leute haben ihnen die Kehlen durchgeschnitten und sie gleichfalls vor ihrem Tor abgelegt – schon vor drei Tagen, nachdem sie unsere Tänzer zu Tausenden abgeschlachtet hatten.«
    Ich senke meinen Kopf und schweige erneut. Was könnte ich zu unserer Rechtfertigung auch anführen? Dass Cuitláhuacs Kämpfer uns genauso abgeschlachtet hätten, wenn wir ihnen nicht zuvorgekommen wären? Schließlich hat uns niemand gezwungen, in ihre Stadt einzumarschieren – geschweige denn, ihren König aus seinem eigenen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher