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Goldener Reiter: Roman (German Edition)

Goldener Reiter: Roman (German Edition)

Titel: Goldener Reiter: Roman (German Edition)
Autoren: Michael Weins
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Schiff ein Geisterschiff machen.
    Die Mutter von Dirk macht die Tür zum Kinderzimmer auf.
    Ich habe euch Würstchen heiß gemacht, sagt sie. Wollt ihr sie in der Küche essen oder soll ich sie euch reinbringen?
    Reinbringen, sagt Dirk zwischen den Zähnen hindurch. Er versucht mit den Zähnen einen Sattel von einem Playmo-Pferd herunterzukriegen. Dirk nimmt Pferde mit aufs Schiff, da hat man im Notfall Fleisch.
     
    112
    Das Haus ist geschmückt. Heute Morgen habe ich die beiden Kartons aus dem Keller geholt. Es ist, als wären alte Bekannte zu Besuch. Ich kenne die Gegenstände, solange ich mich erinnern kann.
    Hinter der Gardine auf dem Fensterbrett im Wohnzimmer steht der einbeinige Nikolaus. Man muss ihn mit dem Blumentopf abstützen. Der Körper ist aus Ton, sein Bein ist zerbrochen. Ich stehe vor dem Fenster und schaue den Nikolaus durch die Gardine an. Er trägt einen weißen Mantel mit roter Borte, nicht umgekehrt. Das mag ich am Nikolaus.
    Neben dem Fernseher steht das Krippenspiel. Ich weiß nicht, ob das Krippenspiel Krippenspiel heißt. Es sieht aus wie ein religiöser Hubschrauber aus Holz. Es sind Figuren darauf. Maria und Josef und ein Jesuskind und Schafe und Hirten und Engel. Und außen herum sind vier Kerzen. Und über den Kerzen sind Flügel aus Holz, die sich drehen, wenn die Kerzen brennen. Die heiße Luft von den Kerzen setzt die Flügel in Bewegung. Vielleicht heißt das Krippenspiel auch Weihnachtspyramide oder irgendetwas anderes mit Pyramide. Da müsste ich meine Mutter fragen.
    Meine Mutter ist in der Küche und versucht Plätzchen zu backen. Als ich aus der Küche ging, hat sie in dem Kochbuch gelesen, das sie von meiner Großmutter hat. Es riecht nach Backofenvorheizen.
    Auf dem Esstisch liegt der Engel aus Salzteig, den ich einmal für meine Mutter gemacht habe. Als Mutter muss man die Dinge aufheben, die einem die Kinder gemacht haben, auch wenn man sie nicht leiden kann. Ich kann den Salzteigengel nicht ausstehen. Ich hasse den Salzteigengel. Er sieht aus wie ein dickes, dummes, unzufriedenes Kind mit Flügeln.
    Ich gehe zu meiner Mutter in die Küche. Meine Mutter sitzt am Tisch und raucht eine Zigarette. Vor ihr steht eine Schüssel. Sie hat den Teig für die Plätzchen angerührt.
    Willst du den Mixer ablecken?, fragt sie.
    Ich sage: Nein, ich will den Teig nicht ablecken. Leck du ihn ab.
    Sie will mich vergiften, denke ich. Sie hat den Teig vergiftet. Sie will mich aus dem Weg haben, wieso weiß ich nicht. Meine Mutter schaut mich an.
    Ich gehe dir nicht auf den Leim, denke ich.
    Meine Mutter drückt ihre Zigarette aus. Sie löst die Mixerblätter aus dem Mixer. Sie leckt den Teig von den Mixerblättern ab. Ich schaue ihr zu, wie sie den Teig vom Metall leckt. Sie lässt die Mixerblätter in die Spüle fallen.
    Lecker, sagt sie. Möchtest du dann die Plätzchen formen? Wir müssen noch das Blech fetten und dann kannst du die Plätzchen ausstechen. Das machst du doch gerne.
    Nein, sage ich. Ich will keine Plätzchen ausstechen.
    Ich stehe auf und gehe aus der Küche. Ich gehe hoch in mein Zimmer. Ich bin ein dickes, dummes, unzufriedenes Kind. Ich trete ein Lego-Auto in die Ecke, das mir im Weg steht.
     
    113
    Es klingelt an der Tür. Ich sitze in meinem Zimmer auf dem Teppichboden und schneide Figuren aus Glanzpapier aus. Die Figuren sind für den Weihnachtsbaum. Die eine Seite des Papiers ist golden, die andere ist rot. Ich habe einen Elch ausgeschnitten, eine Eidechse, einen Esel und eine Harpyie. Die ausgeschnittenen Tiere liegen vor mir auf dem Teppich. Das nächste Tier, das ich ausschneide, ist ein Pavian. Meine Mutter macht unten die Tür auf. Jonas, ruft sie.
    Mark steht draußen. Er hat eine rote Nase wegen der Kälte. Er hat Handschuhe aus Wolle an. Ich habe immer Lederhandschuhe, schwarze Lederhandschuhe.
    Willst du reinkommen?, frage ich.
    Nein, sagt er, ich möchte nur schnell ein Geschenk abgeben. Mark hat eine orange-lila Plastiktüte in der Hand. In der Tüte ist ein Geschenk.
    Komm rein, sage ich. Mark guckt auf den Fußboden. Ich mache die Tür weiter auf. Komm, sage ich.
    Soll ich die Schuhe ausziehen?, fragt Mark.
    Ich gehe vor ihm die Treppe hoch. In meinem Zimmer setzt sich Mark auf den Schreibtischstuhl. Ich sitze auf dem Bett. Er hat seine Jacke und die Handschuhe angelassen. Es sieht komisch aus, Mark in Winterjacke und Handschuhen und unten keine Schuhe dran, sondern gestreifte Socken. Er holt das Geschenk aus der Tüte. Es ist ein eingepackter Karton,
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