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Gold

Gold

Titel: Gold
Autoren: Chris Cleave
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abgeklemmt werden.
    »Könntest du bitte aufhören, gegen meinen Sitz zu treten?«
    »Tut mir leid, Dad.«
    Er schloss sein Handy zum Aufladen an den Zigarettenanzünder an, falls es unterwegs einen Notfall gab und sie einen Krankenwagen rufen mussten. Dann holte er den Straßenatlas unter dem Beifahrersitz hervor, prägte sich den Rückweg nach Manchester ein und versuchte sich zu erinnern, welche Krankenhäuser mit Notaufnahme an der Strecke lagen. Das war wichtig, falls Sophie einen Anfall erlitt, das Bewusstsein verlor oder von einer Biene oder Wespe gestochen wurde. Dann brauchte sie eine Adrenalin-Injektion, damit ihr kleiner Körper nicht in einen Schockzustand verfiel.
    »Könntest du jetzt bitte aufhören, gegen den Sitz zu treten?«
    »’tschuldigung.«
    Er zwinkerte ihr im Rückspiegel zu. Eigentlich störte es ihn gar nicht. Im Gegenteil, es freute ihn, weil es so beruhigend normal war.
    Er bemerkte eine Bewegung im Rückspiegel und drehte sich um. Kate und Zoe kamen über den Parkplatz, Zoe mit gesenktem Kopf. Kate ging betont langsam, damit ihre Freundin sie einholen konnte, wenn sie wollte, doch Zoe blieb ein Stück zurück. Er fragte sich, ob sie bereute, dass sie mitgekommen war.
    Er schaute nach, ob der kleine Sauerstoffbehälter für Sophie griffbereit im Türfach lag, und überprüfte den Schlauch auf Knicke oder Blockaden. Er drehte den Hahn um neunzig Grad und hielt die Sauerstoffmaske ans Ohr. Dann schloss er den Sauerstoffhahn und steckte den Behälter wieder ins Türfach.
    Als er aufsah, hatten Zoe und Kate fast das Auto erreicht. Sie blieben stehen, sprachen miteinander, umarmten sich flüchtig. Er wusste, dass er kein guter Beobachter war, doch die Anzeichen am Morgen waren ihm nicht entgangen. Konfrontation, fast Feindseligkeit, plötzliches Innehalten, vorsichtiger Rückzug. So hatten sie es im Auto die ganze Zeit gemacht. Es war immer eine komplizierte Freundschaft gewesen, geprägt von der bittersüßen Zuneigung zweier Rivalinnen, doch heute wirkte alles viel intensiver als sonst.
    Kate setzte sich neben Sophie auf den Rücksitz, legte die Hände an ihre Wangen und küsste sie auf die Stirn. Sophie wand sich und wollte ausweichen, so wie es jeder gesunde achtjährige Wildfang gemacht hätte. Jack lächelte. Er hortete diese Anzeichen von Normalität und trug sie zur Bank, wohl wissend, dass die Zinseszinsen anwachsen und sich irgendwann zu einem gesunden Kind summieren würden.
    Zoe setzte sich neben Jack.
    Er warf ihr einen Blick zu. »Alles in Ordnung?«
    Sie warf den Kopf zurück. »Wieso denn nicht?«
    Er schwieg.
    »Was ist?«
    »Lass uns fahren, Herrgott noch mal«, meldete sich Kate von hinten.
    Er zuckte mit den Schultern, löste die Handbremse und setzte fünf Meter zurück. Sophie verkündete, sie müsse aufs Klo. Er lächelte. Das kam von der vielen Ribena – die Klonkrieger waren sehr großzügig damit gewesen. Er fuhr wieder fünf Meter vor, zog die Handbremse an und sah geradeaus.
    Kate löste Sophies Sicherheitsgurt und ging mit ihr zum Rand des Parkplatzes, wo sie hinter einem Kleintransporter verschwanden. Jack und Zoe schauten ihnen nach.
    »Du bist jetzt mehr Vater als Mensch«, sagte sie.
    Er ignorierte die Stichelei. »Und du siehst heute ganz schön fertig aus.«
    »Du weißt, wie man einem Mädchen Komplimente macht«, schnaubte Zoe.
    »Zu viel trainiert?«
    »Zu viel nachgedacht, würde ich sagen.«
    »Schön, dass du mitgekommen bist. Kate bedeutet das viel.« Er gestattete sich einen Blick auf sie.
    »Manchmal ist das alles ein bisschen heftig«, sagte sie.
    Jack umklammerte das Lenkrad ein wenig fester. »Kommst du damit klar?«
    Zoe klopfte sich über dem Herzen auf die Brust. »Es macht mir mehr zu schaffen als früher. Ich meine, Sophie ist so krank …«
    »Aber es geht dir gut?«
    Zoe zögerte. »Gut …« Sie schien das Wort auszuprobieren, als hätte sie es lange nicht mehr benutzt, so wie Hausfrau oder Rhodesien . »Gut. Schon. Ich meine … Scheiße, klar geht’s mir gut.«
    Jack sah wieder nach vorn, und sie saßen schweigend da, während Kate Sophie die Jeans hochzog und sie zurück zum Wagen brachte.
    »Worüber redet ihr beiden?«, fragte sie, als sie die Autotür öffnete.
    »Die Tour de France«, antwortete Zoe.
    »Ach, davon habe ich schon mal gehört.«
    Kate setzte Sophie ins Auto und schnallte sie an. Jack sah in den Spiegel und wusste genau, was seine Frau dachte: wie mager ihr Kind geworden war. In den drei Monaten seit dem Rückfall
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