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Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein
Autoren: Heidi Rehn
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hochgewachsene Leib zeigte kaum Anzeichen von ersten Gebrechlichkeiten. Großmutter Lore hatte im selben Alter weitaus deutlichere Spuren des Altwerdens zu beklagen gehabt. Wahrscheinlich, sagte sich Agnes nicht zum ersten Mal, rührte das daher, dass Lore zeit ihres Lebens ihrem einzigen, viel zu früh verstorbenen Gemahl Ewald nachgetrauert hatte. Gunda dagegen war inzwischen bereits zum dritten Mal verheiratet und stand in ihrer Heimatstadt Wehlau weiterhin tatkräftig dem Silbernen Hirschen vor, während ihr Gatte Kollmann eigenen Geschäften nachging. Ulrich und Griet beklagten sich gelegentlich darüber, wie ungern Gunda ihnen das Bierbrauen nach wie vor überließ. Dabei bewiesen die beiden seit fast einem Dutzend Jahren, dass sie sich mindestens ebenso gut darauf verstanden wie ihre Lehrmeisterin.
    »Was spricht gegen Editha?«, erwiderte Gunda. »Sie würde über diese Ehre beglückt sein. Auch Gernot wird sich darüber freuen. Die Patenschaft bindet unsere Familien enger zusammen.« Verschwörerisch zwinkerte sie Agnes zu.
    »Wer bindet hier wen enger zusammen?« Munter ertönte Laurenz’ Stimme von der Tür her.
    »Liebster!«, jauchzte Agnes und hätte ihm am liebsten das Bündel mit der kleinen Tochter entgegengestreckt. Allein die friedliche Andacht des schlafenden Säuglings hinderte sie daran. »Sieh nur, welch großes Glück uns beschieden ist!«
    Noch ehe sie mehr verraten konnte, schweifte sein Blick bereits durch das Schlafgemach. Als er des zweiten Kindes in der Wiege gewahr wurde, breitete sich ein Leuchten über sein Gesicht aus. Sein grünes und sein blaues Auge strahlten um die Wette, um seinen Mund zuckte es stolz. Er strich sich über den schwarzen Bart, legte den rechten Zeigefinger an die leicht nach oben gebogene Nase und schüttelte sacht den Kopf. »Kaum zu fassen! Zwillinge! Wahrscheinlich kann ich mir das Nachschauen ersparen. Schon jetzt bin ich mir sicher, der kleine Junge in der Wiege trägt ebenso wie das Mädchen an deiner Brust ein ganz bestimmtes Mal im Nacken.«
    »Woher wisst Ihr das?« Die Hebamme Maria Gutloff schlug ein Kreuz vor der Brust.
    »Das ist ein Familiengeheimnis!« Agnes, Gunda und Laurenz brachen in schallendes Gelächter aus. Davon erwachten die Säuglinge und stimmten ein empörtes Weinen an. Vom Flur ertönten aufgeregte Kinderstimmen. »Es ist da, es ist da!«
    Die achtjährige Lore mit ihrem blonden Haarschopf stürmte voran, die dreijährige Gerda hinterdrein. Gleich kletterte Gerda zu Agnes ins Bett und suchte ihren rotbraunen Lockenschopf in der Armbeuge der Mutter zu verbergen. Lore dagegen stellte sich andächtig vor die Wiege. Mit großen Augen verfolgte sie, wie Großmutter Gunda den Kleinen aus der Wiege nahm und ihn auf den Armen wiegte, bis er aufhörte zu weinen. Dann neigte sie sich vor und zeigte ihr den Bruder. Gerda dagegen schmiegte sich Daumen lutschend an Agnes’ Busen.
    »Geht das wieder weg?«, fragte sie und versuchte, die neue Schwester von der Mutter wegzuschieben. »Das stört!«
    »Du wirst dich bald an deine kleine Schwester gewöhnen«, erklärte Laurenz und hob Gerda auf, setzte sie sich auf die Schultern, was sie mit einem erfreuten Jauchzen begleitete.
    »Warum gleich zwei?«, fragte Lore. »Eins wäre genug gewesen. Wie heißen die überhaupt?«
    »Darüber haben wir noch gar nicht nachgedacht«, gestand Agnes und sah ratlos zu Laurenz. »Vielleicht nehmen wir einfach die Namen der Paten? Was hältst du davon, Caspar als Gevatter des Jungen und seine Mutter Editha als Patin des Mädchens zu bitten?«
    »Oh«, entschlüpfte es ihrem Gemahl überrascht. Flüchtig streifte sein Blick Gunda, dann zwinkerte er Agnes zu. »Mir scheint, das ist weniger eine Frage denn eine Feststellung. Wie ich dich kenne, hast du es längst beschlossen.«
    »Aber nur, wenn du einverstanden bist.«
    »Bleibt mir eine Wahl?« Schwungvoll setzte er Gerda zurück auf den Boden und eilte zu Agnes, nahm ihre freie Hand und bedeckte sie mit Küssen. »Ach, Liebste, du ahnst nicht, wie froh ich bin! Wenigstens bin ich mir von Anfang an sicher, dass beide Zwillinge unsere Kinder sind.«
    »Und ich weiß, dass sie mir von niemandem geraubt werden!«
    Agnes fiel ihm um den Hals und verschloss ihm den Mund mit einem langen, zärtlichen Kuss.
    »Falls Ihr irgendwelche Befürchtungen hegt«, wandte sich unterdessen Maria Gutloff beflissen an Gunda, »kann ich Euch beruhigen: Ich gehöre nicht zu den Hebammen, die eine Mutter nach der Geburt von Zwillingen
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