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Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein
Autoren: Heidi Rehn
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während sie sich nach einer Sitzgelegenheit umsah. Gunda schloss die Augen, genoss für einen Moment die seltene Zärtlichkeit. Wie gern würde sie die in vollen Zügen auskosten, doch da war immer noch die unbändige Angst vor dem, was sie gerade eben entdeckt hatte.
    »Hier, setzt sie auf das Fass«, schlug der Schwarzbärtige vor und half Agnes, Gunda zu dem umgekippten Fass am Stand eines litauischen Händlers zu bringen.
    »Lasst mich! Alles nicht so schlimm. Es geht schon wieder.« Gunda stemmte sich gegen die beiden. Aus den Augenwinkeln hatte sie erkannt, womit der Händler sein Geld verdiente: Leder! Übelkeit erfasste sie. »Nicht hier, bitte nicht hier!«, stieß sie keuchend zwischen den Lippen hervor und versuchte, den Geruch wie auch den Anblick der frisch gegerbten Stücke zu verdrängen. »Das Leder, Agnes, du weißt doch!«.
    »Schon gut, Mutter, beruhige dich.« Zum Glück verstand Agnes sogleich ihre Not und führte sie von dem Stand weg. Ein Tuchhändler mehrere Tische weiter wies hilfsbereit auf eine Kiste.
    »Setzt sie hierher zu mir. Anscheinend kann sie den Geruch von Leder nicht ertragen. Ich sage es ja immer: Diese Gerber sind mit sämtlichen Teufeln im Bunde!« Als er breit zu lachen begann, entblößte er ein halbverfaultes Gebiss. Zugleich rieb er sich freudig die Hände. Offenbar witterte er ein gutes Geschäft. Die Gewänder der beiden Frauen und der nicht minder teuer gekleidete Schwarzbärtige dicht hinter ihnen versprachen Aussicht auf vermögende Kundschaft. »Will der Herr nicht einen Blick auf meine Schätze werfen?«
    »Danke«, wiegelte der Fremde ab und bückte sich stattdessen zu Gunda herunter. Aufmerksam musterte er ihr Gesicht. Gunda fühlte sich außerstande, sich wegzudrehen. Zu sehr war sie noch von dem Schreck gebannt, seine eigenartigen Augen erkannt und zugleich des Ledergeruchs wegen an eine noch viel schlimmere Begebenheit aus ihrem früheren Leben erinnert zu werden.
    »Ich habe mich nicht getäuscht: Ihr seid es tatsächlich, Gunda Kelletat, Mutter der Zwillinge mit dem Feuermal und Witwe des ehrbaren Böttchermeisters Rudolf Kelletat aus dem Löbenicht!« Der Mann zog das Barett vom Kopf und verbeugte sich tief. Über sein fein geschnittenes Gesicht huschte ein Anflug von Freude, gepaart mit aufrichtiger Verwunderung. »Gestern schon war mir, als müsste ich Euch hier in Wehlau treffen.«
    »Was redet Ihr da? Ihr müsst sie verwechseln. Das ist meine Mutter, Gunda Fröbelin, Witwe des im letzten Jahr verstorbenen Zacharias Fröbel, Wirtin des Silbernen Hirschen vorn am Alletor, neben dem Witoldschen Haus.«
    »Das mag sein«, lenkte der Schwarzbärtige mit seiner schönen Stimme ein. »Das ändert jedoch nichts daran, dass sie einmal Gunda Kelletat im Königsberger Löbenicht gewesen ist. Schon gestern, als ich Euer Mal am Hals entdeckt habe, ist mir die Erinnerung gekommen. Jetzt, da ich Eure verehrte Frau Mutter mit eigenen Augen vor mir habe, bestätigt sich meine Vermutung. Sie ist es, glaubt mir! Nie im Leben werde ich ihr Gesicht vergessen.«
    »Laurenz Selege«, murmelte Gunda. Langsam drang in ihr Hirn vor, dass er zugab, Agnes’ Feuermal bereits gesehen zu haben. Wie konnte das sein?
    So leise sie auch sprach, hatte Agnes ihre Worte doch vernommen. Fragend sah sie sie an. Gunda reagierte nicht. Für eine Weile schloss sie die Augen, lehnte erschöpft den Kopf gegen Agnes’ schlanken Leib. Es tat gut, wenigstens das Mädchen sicher bei sich zu wissen. Einmal musste das alles doch vorbei sein, auch für sie! Einige Atemzüge später beschloss sie, der unliebsamen Begegnung ein rasches Ende zu bereiten. Mit neuer Kraft erhob sie sich und sah dem Schwarzbärtigen geradewegs ins Gesicht.
    »Mir scheint, mein Lieber, wir sind beide einer Verwechslung aufgesessen. Verzeiht, wenn ich Euch Unannehmlichkeiten bereitet habe. Ich kenne Euch nicht, und auch Ihr müsst Euch täuschen. Wie meine Tochter schon gesagt hat: Mein Name ist Gunda Fröbel, Witwe des ehrbaren Schankwirts und Bierbrauers Zacharias Fröbel. Wenn Euch danach ist, so seid Ihr jederzeit in meinem Gasthaus herzlich willkommen. Doch jetzt entschuldigt meine Tochter und mich. Wir haben wichtige Dinge zu erledigen. Gehabt Euch wohl.«
    Ihre Finger suchten in den Falten ihres Rocks nach dem kleinen Leinenbeutel, in dem sie ihr Geld zu verwahren pflegte. Achtlos wühlte sie einige Münzen heraus. »Gebt mir von den blauen Bändern dort hinten«, wies sie den Händler an. Noch bevor er nachfragen
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