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Gohar der Bettler

Gohar der Bettler

Titel: Gohar der Bettler
Autoren: Albert Cossery
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mein Bürovorsteher mir die Feder aus der Hand genommen hat? >Diese arme Regierungsfeder verrostet in deiner Hand, mein lieber Effendi El Kordi, ich denke, daß andere sich ihrer besser zu bedienen wissen<, das hat er mir gesagt. Du siehst mich hier als einen Schreiber ohne Feder vor dir sitzen.«
    »Um so besser für dich«, sagte Gohar. »Ich gratuliere dir.«
    An einem Nebentisch diskutierten zwei völlig erblindete alte Scheichs über den künstlerischen Wert einer berühmten Moschee. Schließlich beschimpfte der eine den anderen als falschen Blinden. Diese offene Beleidigung beendete ihr Gespräch abrupt. Sie verließen sofort ihren Tisch, und jeder ging seines Weges, wobei sie Beschimpfungen von hoher literarischer Qualität vor sich hin brummten. El Kordi schien sein Vorhaben, ein Dieb zu werden, genauso vergessen zu haben, wie er vergessen hatte, sich umbringen zu wollen. Es war bereits zwei Uhr, und er wußte nicht, wie er seinen Nachmittag verbringen sollte.
    »Ißt du mit mir zu Mittag, Meister?«
    »Nein, ich esse niemals um diese Zeit«, sagte Gohar. »Außerdem habe ich keinen Hunger.«
    Er mußte an seine Droge herankommen; seine quälenden Gedanken wurden unerträglich. Es wurde ihm bewußt, daß er die ganze Zeit auf das Eintreffen von Yeghen gewartet hatte.
    »Hast du Yeghen heute noch nicht gesehen?«
    »Doch, ich habe ihn bei Set Amina gesehen, als ich Naila besuchte. Er schlief auf dem Sofa im Vorzimmer. Ich wollte ihn nicht aufwecken; ich glaube, er hat die Nacht dort verbracht.«
    Panik ergriff Gohar. Die Vorstellung, daß Yeghen an einem Ort war, wo er ihn treffen könnte, ließ ihn hochfahren.
    »Ich muß dich verlassen, mein lieber El Kordi. Wir sehen uns heute abend wieder.«
    »Wie, du überläßt mich einfach so meinem traurigen Schicksal«, sagte El Kordi und setzte ein bedauernswertes Gesicht auf
    »Ich bitte um Vergebung, aber ich muß. Gehab dich wohl!«
    Gohar durchschritt das Cafe in fiebriger Hast. Gäste luden ihn ein, sich zu ihnen zu setzen, aber er schlug ihr Angebot höflich aus. Als er sich ein wenig entfernt hatte, spuckte er die Pfefferminzpastille aus, die langsam Übelkeit bei ihm hervorrief Der Gedanke an das nahe Haschisch flößte ihm neue Energie ein. Leichten Schrittes verschwand er im Gewirr der Gassen, die von wackeligen, baufälligen Häusern gesäumt waren, die bestimmt bald einstürzen würden.

Plötzlich schlug ihm das grelle Tageslicht brutal entgegen und bereitete seinem Tatendrang ein abruptes Ende. Seine Augen hatten sich an das Dämmerlicht der überdachten Terrasse gewöhnt, so daß er sich jetzt nicht mehr zurecht fand in diesem lichtdurchfluteten und wogenden Universum, das sich vor ihm auftürmte wie eine unüberwindbare Barriere. Die Gasse, in der er sich befand, war ungewöhnlich eng und voller Hindernisse. Gestalten, die wie versteinert gegen die Mauern gelehnt saßen oder standen, breiteten eine unvordenkliche Trägheit aus, mit der sie den Verkehr lahmlegten. Auf dem Boden vor den Eingängen der baufälligen Häuser wimmelte es von Kindern, die kleinen Kriechtieren ähnelten und deren schleimig-tränende Augen von Fliegen übersät waren. Zusammengekauerte Frauen wuschen ihre Lumpen in großen Blechschüsseln; andere bereiteten das Essen auf einem Petroleumkocher zu, der soviel Lärm machte wie eine Lokomotive. Von Zeit zu Zeit beschimpften sie ihre zu lebhaften Sprößlinge in einer Lautstärke und mit einer Heftigkeit, die keinerlei Nachsicht duldete.
    Angesichts all dieser Hindernisse, die sich ihm in den Weg stellten, wurde Gohar von Schwindel ergriffen. Es würde ihm niemals möglich sein, sich einen Weg durch diese kompakte Masse zu bahnen, die unüberwindlicher war als eine hohe Bergkette. Der Gedanke an die Droge jedoch und die Angst, Yeghen zu verpassen, ließen ihn seine Schwäche überwinden. Es war lebenswichtig für ihn; ohne zu zögern, stürzte er blindlings los und bahnte sich seinen Weg, ohne die Schreie und Verwünschungen zu beachten, die ihn begleiteten. Allerdings schien es ihm, als würde die Luft um ihn herum schwerer werden und als seien die menschlichen Wracks, die ihm den Durchgang versperrten, von einer feindseligen Unbekümmertheit beseelt. Das Bordell lag nicht sehr weit entfernt, aber Gohar hatte den Eindruck, als würde sich der Weg dorthin auf seltsame Weise in die Länge ziehen. Die eine Hand um den Gehstock geklammert, die andere in einer kindlichen Verteidigungshaltung nach vorn ausgestreckt, kämpfte er sich
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