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Gohar der Bettler

Gohar der Bettler

Titel: Gohar der Bettler
Autoren: Albert Cossery
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Gohar vor allem anderen an ihm bewunderte, das war seine richtige Einstellung zum Leben: zum würdelosen Leben. Einfach nur zu leben, das reichte ihm zum Glück.
    Beim Gedanken an El Kordi, an die Überbewertung seines mehr eingebildeten als tatsächlichen Unglücks sowie an seine fortwährende Suche nach menschlicher Würde, lächelte Gohar. »Diese Suche nach Würde ist die nutzloseste aller Eigenschaften des Menschen«, dachte er. All diese Menschen, die um Würde rangen! Welche Würde! Nur wegen solcher Albernheiten war die Menschheitsgeschichte ein anhaltender, blutiger Alptraum. Als wäre das Leben nicht an sich schon eine Würde. Nur die Toten sind unwürdig. Wertschätzung empfand Gohar allein für lebende Helden. Und die scherten sich bestimmt nicht um so etwas wie Würde.
    Für ihn kam es überhaupt nicht in Frage, in sein Zimmer zurückzukehren; die Klageweiber stießen bestimmt immer noch ihre dämonischen Schreie aus. Der bloße Gedanke an diese entsetzlichen weiblichen Wesen, die sich einem gekauften Schmerz hingaben, ließ ihn erschaudern. Er fühlte, wie sein Kopf schwer wurde, und nur mit Mühe konnte er die Augen offenhalten. Das Haus war in eine heimtückische Stille getaucht, die Gohar wie ein Betäubungsmittel durchdrang. Wäre da nicht sein Wunsch gewesen, endlich Yeghen zu treffen, er hätte sich vom Schlaf übermannen lassen. Trotzdem schloß er die Augen in der Absicht, sich zu sammeln, und er versuchte gegen sein wachsendes Unbehagen anzukämpfen.
    So verging einige Zeit; er hatte nicht gehört, wie das Mädchen die Tür geöffnet hatte.
    »Schläfst du?«
    Gohar öffnete die Augen. Arnaba stand regungslos in der Tür. Das helle Tageslicht, das ihr Zimmer durchflutete, zeichnete durch den Stoff des Morgenmantels hindurch die Linien ihres nackten, festen Körpers ab. Gohar zögerte einen Moment lang; er dachte zu träumen, dann sagte er:
    »Nein, ich habe mich nur ausgeruht.«
    »Könntest du mir einen Brief schreiben?« fragte das Mädchen.
    Jetzt ging sie auf ihn zu, bewegte sich aber immer noch im Lichtrahmen der offenen Tür. Je näher sie ihm kam, desto schwächer wurde das Licht, das sie umgab, und schon bald verschluckte das Halbdunkel den Blick auf ihre Nacktheit. Gohar rieb sich die Augen; diese laszive Erscheinung hatte ihn außerordentlich erregt. Mit einem geheimnisvollen Lächeln auf ihren geschminkten Lippen blieb sie schließlich vor ihm stehen. Sie sah wirklich aus wie ein perverses kleines Mädchen.
    »Wem willst du einen Brief schreiben?«
    »Meinem Onkel; er wohnt auf dem Land. Ich habe ihm noch nicht geschrieben, seit ich hier bin. Er wird sich Sorgen machen.«
    Gohar schwieg. Im Augenblick stellte das Schreiben eines Briefes keine einfache Aufgabe dar; er war außerstande, sich zu konzentrieren oder einen Stift zu halten. Es widerstrebte ihm jedoch, einer Bitte nicht nachzukommen. Arnaba schien sein Zögern zu erahnen und interpretierte es auf ihre Weise.
    »Ich bezahle dich dafür«, sagte sie.
    »Ich werde den Brief schreiben«, sagte Gohar. »Hast du alles, was man zum Schreiben braucht?«
    »Ja. Ich danke dir für deine Freundlichkeit. Komm in mein Zimmer, dort ist es angenehmer.«
    Schwerfällig stand er auf und folgte ihr in das Zimmer. Es war das typische Zimmer einer billigen Hure; ein großes Bett mit einem Eisengestell, ein Sofa, ein Stuhl und ein Spiegelschrank. Es roch nach Puder und billigem Parfüm. Das mit einem pistaziengrünen Plumeau bedeckte Bett war unbenutzt: Sie hatte heute noch nicht gearbeitet. Gohar beeilte sich, die Fensterläden zu schließen; seine schmerzenden Nerven verlangten nach Halbschatten; nur so konnte er sich gegen den Schmerz schützen. Arnaba kramte im Spiegelschrank herum und holte ein Blatt Papier sowie einen Stift hervor, die sie Gohar gab, dann setzte sie sich auf die Bettkante und betrachtete ihn sehr neugierig.
    Gohar ließ sich auf das Sofa fallen, stellte seinen Gehstock unmittelbar neben sich und bereitete sich auf das Abfassen des Briefes vor. Er wartete darauf, daß sie ihm diktierte, was er schreiben sollte, aber sie schien den Grund seiner Anwesenheit vergessen zu haben. Sie verhielt sich wie jemand, der erwartet, sich irrsinnig zu amüsieren. Sie lächelte immer noch wie ein kleines perverses Mädchen.
    »Du wolltest Yeghen sehen?«
    »Ja«, sagte Gohar. »Ich muß ihn in einer geschäftlichen Angelegenheit treffen.«
    »Ist es sehr dringend?«
    »Sehr dringend. Aber das macht nichts, er wird schon noch kommen.«
    »Es
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