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Goetterdaemmerung - Roman

Goetterdaemmerung - Roman

Titel: Goetterdaemmerung - Roman
Autoren: El mir Bourges
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gesamte Haltung erstreckte, und eine dumme, herablassende Verachtung der Künste und Eleganz des alten Europa.
    Da sah der Herzog plötzlich die unendliche Vielzahl der Angehörigen des Volkes, der Arbeiterschaft und der Elenden wie einen gewaltigen Abgrund vor sich, aus dem wütende Fluten aufsteigen würden. Unabhängigkeit und Unbelehrbarkeit strömten aus zu vielen Richtungen in die Gesellschaft, als dass man sie aufhalten könnte. Wenn man das eindringende Wasser an der einen Seite verstopfte, käme es sogleich von der anderen; es brodelte sogar unter der Erde. 168 Ja! Schicksalhafte Zeiten nahten. Alle Zeichen der Zerstörung standen sichtbar über der alten Welt, wie die Racheengel über einem dem Untergang geweihten Gomorrha. Und dann, was käme dann? Welche dunkle Zukunft würde die Menschen erwarten? Von nun an frei und gleich, niemandem, nicht einmal Gott untertan, gegen den ihre Gelehrten Abwehrzauber schüfen wie die Magier des Pharao, würden sie die Erde verändern durch Löcher und technisches Gerät, mit dem sie sich durch Berge gruben und Kontinente überbrückten; doch würden sie in ihrem aufgeblähten Stolz auf alles Materielle gleichsam zerplatzen. Nachdem jede Blume des Lebens verwelkt wäre, die Grazien sich in den Himmel zurückgezogen hätten und kein Haupt sich mehr über das drückende Niveau ungeheuerlicher Gleichmacherei erhöbe, würde die Erde in kurzer Zeit zu einem unreinen Trog, an dem sich die Menschenherde sättigte.
    Mitten in die tiefe Stille hinein erklang ein feierlicher Marsch, der Marsch des Todes der Götter, denn der Held Siegfried war gerade hingemordet worden, und über diesem Tod würden alle Götter sterben. Und der Herzog lauschte verblüfft dieser Totenklage, deren übermenschlicher und majestätischer Schrecken ihn erstaunte. In ihr lag, wie ihm schien, die Trauer über alles, was er gekannt und geliebt hatte, die Trauer über seine Kinder, die Trauer über sich selbst und die Trauer über die Könige, die er gewissermaßen im Sterben liegen sah, und ihrer aller Götterdämmerung.
    Und bis zum letzten Akkord des Musikstücks hing Karl von Este seinen Gedanken nach. Vom gesamten Publikum herbeigerufen, erschien Wagner auf der Bühne: Seine Adleraugen funkelten, sein Gesicht, das gleichsam gemeißelte Antlitz eines Genies, sah ganz zerquält aus, und er war blass vor Erregung. Nachdem er gesprochen hatte, verschwand er wieder, und der Herzog, der sich hinauszukommen beeilte, war im Nu bei seinem Wagen, der ihn wohlbehalten aus der Menge führte, sodass es keine Viertelstunde dauerte, bis er durch Bayreuths verlassene Straßen nach Hause gelangte.
    Im Salon stieß Karl von Este auf Arcangeli, der ihn mit einem aus Kuchen, Trauben und Pfirsichen bestehenden Imbiss erwartete. Er aß ein paar Muskatellertrauben, trank ein wenig spanischen Wein und beklagte sich unterdessen heftig über seine maßlose Müdigkeit, doch wollte der Herzog vor dem Zubettgehen unbedingt seinem Genfer Notar schreiben. Seither wurde gemutmaßt, dass er diesem einige ergänzende Zeilen zu seinem Testament übermitteln oder das in der Notariatspraxis hinterlegte annullieren wollte. Wie auch immer, als der Italiener mit Schreibzeug zurückkam, saß der Herzog zwischen zwei Dienern, die ihn dort platziert hatten, auf seinem Toilettenstuhl; er sagte nichts, als er ihn kommen sah. Plötzlich bemerkte man, dass er etwas stammelte, und im selben Moment glitt er, vom Schlag getroffen, zur Seite und fiel auf Arcangeli, der ihn auffing.
    Innerhalb eines Augenblicks war das gesamte Hotel auf den Beinen. Man rannte los, um Hilfe zu holen, doch bestand keine Hoffnung mehr für den Herzog. Der erste eingetroffene Arzt legte ihn eilig auf ein Kanapee und ließ ihn zur Ader, aber er gab nur noch schwache Lebenszeichen von sich. So war in knapp zwei Stunden alles vorüber, während derer Arcangeli zu Recht verdächtigt wurde, sich bereits reichlich die Taschen gefüllt zu haben, denn man fand nur wenig Geld im Sekretär Seiner Hoheit. Übrigens erfolgte diese vorausgreifende Maßnahme zur rechten Zeit. Dem Testament nach erhielten nämlich weder er noch Franz, nicht Christiane, Prinz Wilhelm, der König von Hannover oder sonst irgendein Familienmitglied nur einen roten Heller, auch kein Freund oder Bediensteter. Herrn Smithson wurde als einziger Ausnahme ein Vermächtnis von einer Million überschrieben.
    Es ist im Übrigen durchaus angebracht, dieses Schriftstück hier so zu zitieren, wie es in verschiedenen
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