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Goetterdaemmerung - Roman

Goetterdaemmerung - Roman

Titel: Goetterdaemmerung - Roman
Autoren: El mir Bourges
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gestützt werden musste, und zu allem Überfluss flößten ihm zwei Senkungen in der Leiste die ständige Furcht selbst vor dem leichtesten Unfall ein. Dennoch hatte er auf Galakleidung bestanden, und so trug der Herzog an diesem Tag die große schwarz-goldene Uniform mit seinen Ordenssternen und einen Hut mit Federbusch.
    An seinem erhöhten Platz oberhalb des Parketts hatte Karl von Este niemanden vor sich, denn direkt unter ihm durchschnitt der Durchlass zu einem Gang die Reihe, und obwohl er die Augen fast aller Anwesenden auf sich gerichtet sah, rührte er sich nicht und blickte, ohne etwas wahrzunehmen, mit konzentrierter Miene geradeaus. Einige wenige Gaslampen zwischen den Pilastern und Halbsäulen, die die Stuckwände zierten, erleuchteten den weitläufigen, in der Art eines antiken Theaters erbauten Saal nur spärlich. Eine lärmende Menge bewegte sich unruhig auf den roten Samtsitzen, die in sanft ansteigenden Reihen vom Orchestergraben bis zur sogenannten Fürstenloge führten, dem mit karmesinrotem Samt ausgeschlagenen, mit massiv goldenen Troddeln geschmückten und die ganze Breite des riesigen Saals einnehmenden Platz des Adels. Alle anderen Sitze waren ausnahmslos rote Samtsessel.
    Plötzlich öffnete sich eine kleine Tür gegenüber der Bühne, und Kaiser Wilhelm betrat die kaiserliche Loge. Sogleich erhoben sich alle; Beifall erklang, während Seine Majestät grüßte. Hinter ihm führte der Prinz von Preußen die Prinzessin am Arm. Dann folgten der König von Bayern, die Großherzöge von Mecklenburg, Baden und Sachsen-Weimar und hinter ihnen die Herzöge von Coburg, Anhalt, Sachsen-Altenburg, Prinz Georg von Preußen, Fürst Hohenzollern-Sigmaringen, der Herzog von Leuchtenberg, Prinz Romanowsk und Prinz Wilhelm von Blankenburg. Der von Freudenschreien, Getrampel und von vielen von Frauen geschwenkten Taschentüchern begleitete Tumult anlässlich dieses Einzugs ins Theater hielt an, bis Seine Majestät und alles, was ihn begleitete, am Platz war. Einzig Karl von Este blieb inmitten so vieler Schaulustiger oder aufrichtig Begeisterter sitzen und kehrte den Hoheiten und dem Kaiser mit scheinbar verächtlicher Ruhe den Rücken.
    «Alter Narr», sagte Seine Majestät achselzuckend und beugte sich zur Prinzessin von Preußen hinüber, um ihr diesen exzentrischen Karl von Este zu zeigen, der seit einigen Tagen in aller Munde war, als plötzlich das Gaslicht so weit heruntergedreht wurde, dass im Saal nur noch ein schwacher Lichtschein blieb und sich die erleuchtete Rampe vor dem Vorhang abzeichnete. Sogleich trat tiefe Stille ein; dann richteten sich aller Augen auf den von den Anhängern des Meisters so genannten «mystischen Abgrund» 165 , den Ort, an dem das Orchester, durch eine Art hölzerne Abdeckung zwischen Bühne und Theatersaal den Blicken gänzlich entzogen, nur auf das Zeichen zum Beginn wartete.
    Der Taktstock Hans Richters 166 senkte sich, die Musiker intonierten das Vorspiel, dann gab der sich teilende Vorhang den Blick auf eine trostlose Landschaft frei. Über zerklüfteten Bergspitzen zerrissen Blitze die Finsternis, und auf Felsbrocken saßen die drei Nornen, weißhaarig und grauenhaft anzusehen, Erdas Töchter, und spannen den Schicksalsfaden. Verehrungswürdige Schwestern, antike Spinnerinnen! Das Denken der ersten umfasst alles Gegenwärtige, das der zweiten alles Zukünftige, das der dritten alles Vergangene. Neben ihnen, ohne sie vermag nichts zu bestehen. Ihr ewiges Wachen erschafft das Leben des Universums und seiner Geschöpfe; ihre Blicke weisen die Grenzen all dessen, was existiert. Sie sangen, während sie ihr Werk beschleunigten, und ihre schicksalhaften Worte erzählten von Sieglinde und Siegmund, von Siegfried und Brünnhilde. Plötzlich – o welch grauenhaftes Mirakel! – riss der Faden zwischen ihren Fingern entzwei, und die entsetzten Nornen verschwanden im Busen von Erda, der Mutter Erde.
    Und als hätte jene bittere Stimme der Norne der Vergangenheit seine Erinnerung angeregt, dachte auch der Herzog mit einem Mal zurück, an die Zeit vor zehn Jahren, und er sah sich wieder in Blankenburg. Damals war er es, dem man huldigte, wenn er eine Theaterloge betrat; Niedrigkeit, Kriecherei, Bewunderung wanden sich zu seinen Füßen. Doch hatten diese berauschenden Tage seiner Regierungszeit nur dazu gedient, die grausamsten aller erdenklicher Unglücke vorzubereiten und diesen so großen und unumschränkten Herrscher am Ende in einen Abgrund der Ohnmacht und der Leere zu
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