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Goetterdaemmerung - Roman

Goetterdaemmerung - Roman

Titel: Goetterdaemmerung - Roman
Autoren: El mir Bourges
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eifersüchtig, obwohl er allen Grund dazu hätte: Die Beziehung zwischen Otto und der Belcredi bleibt ihm bis zuletzt verborgen.
    Auch der Geschwisterinzest wird trotz der ähnlichen Grundkonstellation ganz anders dargestellt als in der Walküre : Wenn Siegmund und Sieglinde sich nach langer Trennung wiedersehen, erkennen sie intuitiv, dass sie Geschwister sind, und werden sich zugleich ihrer wenig geschwisterlichen Liebe zueinander bewusst. Die Liebe führt ohne Hemmungen und Hindernisse zur körperlichen Vereinigung und kennt keine Reue. Sieglinde hat nicht des Inzests wegen Gewissensbisse, sondern weil sie «je dem Manne gehorcht, / der ohne Minne sie hielt» – das heißt ihrer Ehe mit Hunding wegen fühlt sie sich der Liebe des Bruders nicht mehr würdig. Siegmund wiederum muss sterben, weil Fricka, die Göttin der Ehe, von Wotan Sühne für das Hunding zugefügte Unrecht verlangt.
    Dagegen leben Hans Ulrich und Christiane gleichsam kindlich unschuldig in geistig-seelischer Gemeinschaft miteinander, bis die Belcredi als Schlange in dieses Paradies eindringt und ihnen die Art ihrer wechselseitigen Zuneigung bewusst macht. Dazu bedient sie sich eines literarischen Modells, das Wagners pseudogermanischen Mythen denkbar fernsteht: der Inzest-Tragödie Schade, dass sie eine Hure ist von John Ford (1633). Drei Passagen aus der Eingangsszene, die die Belcredi den Geschwistern vorliest, werden wörtlich wiedergegeben, während der Roman kein einziges Zitat aus Wagners Ring- Dichtung enthält. Weder Hunding noch eine göttliche Macht sind vonnöten, um die Katastrophe herbeizuführen; nach ihrer einzigen Liebesnacht verurteilt die Geschwister ihr eigenes Gewissen. In der Kontroverse zwischen Wotan und Fricka steht Wagner auf der Seite Wotans. Bourges dagegen ergreift für Fricka Partei: Der innere Kompass, der dem Menschen zeigt, was recht und was unrecht ist, weist seit Anbeginn der Welt für alle Ewigkeit in dieselbe Richtung.
    Die Liebesnacht, die die Geschwister so teuer bezahlen, ist die logische Fortsetzung des Duetts, das den ersten Akt der Walküre beschließt und das sie bei der Generalprobe für die geplante Privataufführung gemeinsam gesungen haben. Damit wird die Musik erstmals in diesem Roman zum Thema, oder richtiger gesagt, zum Medium der Erzählung: Im ersten Kapitel haben wir darüber, wie Wagners Partitur Siegmund und Sieglinde charakterisiert, nichts erfahren; der Erzähler nahm die Perspektive des Herzogs ein, und der war abgelenkt. Jetzt transponiert Bourges das Begehren, die Leidenschaftlichkeit des Gesangs in ein wunderbar rhythmisiertes Stück Wortmusik, und die Musik der Sprache gibt Wagner gegen den Romancier recht.
    Von den Hauptfiguren hat das Paar Franz und Emilia keine Entsprechung bei Wagner; die Kleinbürgerin, die um jeden Preis eine gute Partie machen will, und der große Herr, der vergisst, was er seinem Rang schuldig ist, mit einem Falschspieler gemeinsame Sache macht und sich dabei auch noch erwischen lässt, liefern den schlagenden Beweis dafür, dass die Grenzen zwischen den sozialen Klassen durchlässig geworden sind; in einer sich demokratisierenden Welt ist gesellschaftlicher Aufstieg (und Abstieg) möglich, im statischen Ring -Universum nicht.
    Umgekehrt haben etliche Figuren Wagners bei Bourges keine Entsprechung: Mit Erda, den Nornen und den Rheintöchtern fehlt das Element der ewigen Natur, des Kosmisch-Beharrenden. Fricka und ihre Göttergeschwister kommen ebenso wenig vor wie die Riesen. Damit fällt auch der Bruderzwist weg: Franz nimmt völlig ungerührt hin, dass sein Vater ihn zugunsten Ottos praktisch enterben will. Weil sich niemand zwischen Liebe und Macht entscheiden muss, ist kein Platz für Alberich und Hagen.
    Dass Bourges Hunding, Gunther und Gutrune weggelassen hat, verändert die Struktur der Geschichte grundlegend: Außer im Rheingold wird Handlung bei Wagner stets durch Konflikte in Dreieckskonstellationen in Gang gesetzt. In der Walküre müssen sich Siegmund und Sieglinde gegen Hunding zur Wehr setzen – und Wotan sieht sich außerstande, Brünnhilde gegen Fricka recht zu geben; Siegfried muss sich den Zugang zur schlafenden Brünnhilde gegen den Wanderer Wotan erstreiten ( Siegfried ); in der Götterdämmerung bewirkt ein magischer Trank, dass Siegfried Brünnhilde vergisst und sich Gutrune zuwendet, und Brünnhilde kann Gunther nicht lieben, weil sie Siegfried nicht vergessen hat. Keines dieser Dreiecke findet sich im Roman wieder; wir sahen, dass
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