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Götterdämmerung in El Paso (German Edition)

Götterdämmerung in El Paso (German Edition)

Titel: Götterdämmerung in El Paso (German Edition)
Autoren: Rick DeMarinis
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zweihundertsechzigtausend. Er meinte, auf dem derzeit heißen Markt könne ich gut und gern zweihundertachtzig, wenn nicht sogar dreihundert erzielen.
    El Descanso verlangte für Velmas Unterkunft, Logis und Pflege fünftausend im Monat. Bei dieser Summe würden zweihundertsechzigtausend vier Jahre reichen. Danach käme das Armenhaus. Ich erklärte mich mit den sechs Prozent Provision einverstanden, gab dem Makler zum Abschied die Hand und verließ leicht deprimiert sein Büro.
    Das El Descanso war knapp drei Kilometer vom Büro des Maklers entfernt. Das Gelände fiel aus dem Rahmen: Springbrunnen, moderne Skulpturen und ein außergewöhnlicher Espenhain, dazu jede Menge Schwarzkiefern und Olivenweiden. Wie die meisten seiner Zunft hatte der hierfür verantwortliche Landschaftsarchitekt die Tatsache völlig ausgeklammert, dass wir nördlich der Chihuahua-Wüste leben. Drinnen unterschied sich das El Descanso von keinem anderen mittelprächtigen Pflegeheim.
    Velmas Zimmer lag in der ersten Etage des dreigeschossigen Baus. Das Zimmerchen war nur geringfügig größer als ihre Vorratskammer zu Hause, aber es war ganz hübsch: ein Krankenhausbett, ein großes Fenster mit Blick auf das blau gedeckte Dach einer Highschool, ein Fernseher samt Fernbedienung, zwei Sessel und ein kleines Sofa. An der Wand neben dem Bett hing ein Gemälde, eine Landschaft mit dem Titel »Unendliche Gelassenheit«. Bunte Farben und brillantes Sonnenlicht, nur war es dem Künstler gelungen, die natürliche Welt wie einen gemalten Leichnam aussehen zu lassen.
    Sie saß in einem der Sessel und verfolgte eine Seifenoper im Fernsehen. Sie sah mich nicht an, hielt ihren Blick auf das verzwickte Geschehen im General Hospital gerichtet.
    »Ein hübsches, gemütliches Zimmer hast du hier«, sagte ich, bemüht, gute Laune zu verbreiten. »Behandeln sie dich gut?«
    Sie antwortete nicht. Dann bemerkte ich den Schlauch. Wie eine dünne Schlange wand er sich von einem Beutel hinab, der an einem Stahlständer hing, schlängelte sich über ihre Schulter und Brust, verlief anschließend in einem scharfen Knick hoch zu ihrem Kinn und weiter in die Nase. Transparentes Klebeband fixierte den Schlauch an ihrer Oberlippe. Ich stand auf und ging hinaus in den Flur. Dort traf ich auf eine Schwester.
    »Warum hat sie einen Schlauch in der Nase?«, fragte ich.
    Es dauerte einen Moment, bevor sie von ihrem Klemmbrett aufsah.
    »Wie bitte?« Sie war jung und hübsch und auf eine spitze Art professionell. Sie war so verdammt professionell, dass es beinahe quietschte.
    »Meine Mutter hat einen Plastikschlauch in der Nase«, sagte ich.
    »Ihre Mutter ist … «
    »Velma Morgan, Zimmer 213.«
    Die Schwester sah auf ihr Klemmbrett.
    »Morgan, Velma … ja, seit dem neunten August bei uns.«
    »Was ist mit dem Schlauch? Warum hat sie diesen gottverdammten Schlauch in der Nase?«
    »Das ist nur für die künstliche Ernährung, Sir. Er verläuft über die Nasenpassage zur Speiseröhre. Mrs. Morgan hat die Nahrungsaufnahme verweigert. Das ist die einzige Möglichkeit, ihr Nahrung zu verabreichen. Es bedeutet nur eine minimale Einschränkung. Vielleicht ist ihre Kehle ein wenig wund, aber es ist nichts, worüber ich mir Sorgen machen würde.«
    »Ich möchte aber, dass Sie sich darüber Sorgen machen«, sagte ich.
    »Sir, der Schlaganfall hat bei Ihrer Mutter zu einer teilweisen Lähmung geführt«, sagte die Krankenschwester. »Ihre linke Seite ist mehr oder weniger unbeweglich. Es besteht eine kleine Chance, dass sie mit einer Therapie einige Funktionen wiedererlangt. Der Neurologe ist der Ansicht, dass ihre kognitiven Fähigkeiten ebenfalls beeinträchtigt sind. Sie hat mehrere Male versucht, sich den Schlauch mit der gesunden Hand herauszuziehen. Deshalb mussten wir Ihre Mutter fixieren.«
    »Sie was?«
    Wir gingen in das Zimmer. Manchmal sieht man nicht, was man nicht ertragen könnte, zu sehen. Jetzt sah ich es: dass die linke Gesichtshälfte hing, die trüben Augen, den durchsichtigen Plastikschlauch, der die Nährlösung vom Beutel über ihre Nase in ihre Kehle und hinunter bis in ihren Magen transportierte. Ihr Handgelenk, festgeschnallt an der Sessellehne, was ihre bewegliche Hand unbeweglich machte.
    »So etwas habe ich nicht erwartet«, stieß ich hervor. »Um Himmels willen, sie ist doch nicht hier, um zwangsernährt zu werden. Wann hatte sie den Schlaganfall? Warum wurde ich nicht benachrichtigt?«
    »Wir haben versucht, Sie zu erreichen, Mr. Morgan«, sagte die
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