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Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band

Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band

Titel: Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
Autoren: Douglas R. Hofstadter
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er sogar noch bedeutender sei. Der König teilt diese Meinung, und um es mir zu beweisen, sang er laut ein chromatisches Fugenthema, welches er jenem alten Bach gegeben hatte; und dieser hatte auf der Stelle daraus eine Fuge mit vier Stimmen, dann mit fünf Stimmen und schließlich mit acht Stimmen gemacht. 3
    Natürlich können wir nicht mehr feststellen, ob es Friedrich der Große oder Baron van Swieten war, der dieser Begebenheit überlebensgroße Dimensionen verlieh. Doch zeigt das Gespräch, wie stark die Bach-Legende unterdessen geworden war. Um einen Begriff davon zu geben, wie außerordentlich eine sechsstimmige Fuge ist: im gesamten Wohltemperierten Klavier von Bach, das achtundvierzig Präludien und Fugen enthält, sind nur zwei fünfstimmig, keine jedoch sechsstimmig! Die Improvisation einer sechsstimmigen Fuge ist vielleicht mit dem Spielen — und Gewinnen — von sechzig simultan blind gespielten Schachpartien zu vergleichen. Eine achtstimmige Fuge zu improvisieren übersteigt die menschlichen Fähigkeiten.
    Auf dem Vorsatzblatt des Exemplars, das Bach an Friedrich sandte, stand die folgende Inschrift:

    Abb. 4 .
    („Auf Geheiß des Königs, die Melodie und der Rest durch kanonische Kunst aufgelöst.“) Hier spielt Bach mit dem Wort „kanonisch“, das nicht nur „mit Kanons“, sondern auch „auf die bestmögliche Art und Weise“ bedeutet. Die Anfangsbuchstaben der Widmung ergeben
    RICERCAR
    — ein italienisches Wort, das "suchen“ bedeutet. Tatsächlich gibt es im Musikalischen Opfer viel zu suchen. Es besteht aus einer dreistimmigen Fuge, einer sechsstimmigen Fuge, zehn Kanons und einer Triosonate. Musikforscher sind zum Schluß gekommen, daß die dreistimmige Fuge im wesentlichen mit der identisch sein muß, die Bach für Friedrich den Großen improvisierte. Die sechsstimmige Fuge ist eine der komplexesten Schöpfungen Bachs, und das Thema ist natürlich das Königliche Thema. Dieses Thema (siehe Abb. 3 ) ist äußerst komplex, rhythmisch unregelmäßig und äußerst chromatisch (d. h. es ist mit zahlreichen Halbtonschritten durchsetzt, die nicht zu der Tonart gehören, in der es verfaßt ist). Eine darauf basierende annehmbare Fuge auch nur für zwei Stimmen zu schreiben, wäre für einen durchschnittlichen Komponisten keineswegs eine leichte Aufgabe.
    Beide Fugen sind mit „Ricercar“ und nicht mit „Fuga“ überschrieben. Dies ist eine andere Bedeutung des Wortes; „Ricercar“ war der ursprüngliche Name der heute „Fuge“ genannten musikalischen Form. Zu Bachs Zeiten war das Wort „Fuge“ (oder, lateinisch und italienisch, fuga) allgemein üblich, aber der Ausdruck „Ricercar“ blieb bestehen und bezeichnete jetzt eine gehobene Form der Fuge, für das Ohr des Durchschnittsmenschen vielleicht von zu großer intellektueller Strenge. In ähnlicher Weise bedeutet das Wort „recherché“ eigentlich „erlesen“, hat aber (im Englischen) Obertöne derselben Art, nämlich des Esoterischen und des intellektuellen Raffinements.
    Die Triosonate bietet eine willkommene Erholung von der Strenge der Fuge und des Kanons; sie ist sehr melodisch und lieblich, beinahe ein Tanz. Aber auch sie basiert weitgehend auf dem Königlichen Thema, so chromatisch und streng dieses auch sein mag. Es grenzt ans Wunderbare, daß Bach solch ein Thema für ein gefälliges Zwischenspiel verwenden konnte.
    Die zehn Kanons im Musikalischen Opfer gehören zu den ingeniösesten Kanons, die Bach jemals komponiert hat. Indessen hat Bach sie aber merkwürdigerweise nie völlig ausgeführt, und zwar absichtlich. Sie wurden König Friedrich als Rätsel dargeboten. Es war damals ein beliebtes musikalisches Spiel, ein einzelnes Thema zusammen mit mehr oder weniger kniffligen Winken vorzulegen, und den auf dem Thema basierenden Kanon von jemand anders „entdecken“ zu lassen. Um zu verstehen, wie so etwas möglich ist, muß man etwas über Kanons wissen.
Kanon und Fuge
    Das Grundprinzip des Kanons besteht darin, daß man ein einziges Thema gegen dieses selbst spielt. Das geschieht in der Weise, daß die verschiedenen mitwirkenden Stimmen „Kopien“ des Themas spielen. Das kann man jedoch auf viele verschiedene Arten tun. Der einfachste Kanon ist der Rundgesang, wie zum Beispiel Bruder Jakob oder Wachet auf ... usw. Hier erklingt das Thema in der ersten Stimme und nach einem bestimmten Intervall eine „Kopie“ davon in genau der gleichen Tonart. Nach dem gleichen Intervall fällt die dritte Stimme mit demselben
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