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Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band

Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band

Titel: Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
Autoren: Douglas R. Hofstadter
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Thema ein, usw. Die meisten Themen harmonisieren nicht auf diese Weise mit sich selbst. Damit ein Thema in einem Kanon verwendet werden kann, muß jede seiner Noten in doppelter (oder drei- oder vierfacher) Weise verwertet werden können: sie muß zunächst einen Teil der Melodie bilden, und sodann muß sie ein Teil der Harmonisierung dieser Melodie werden. Bei drei kanonischen Stimmen z. B. fungiert jede Note des Themas harmonisch auf zwei verschiedene Arten, und außerdem noch melodisch. So hat also jede Note in einem Kanon mehr als eine musikalische Bedeutung; das Ohr des Zuhörers und sein Gehirn finden die richtige Bedeutung automatisch, indem sie den Zusammenhang berücksichtigen.
    Es gibt natürlich noch kompliziertere Arten des Kanons. Die erste Steigerung der Komplexität besteht darin, daß die „Kopien“ des Themas nicht nur zeitlich, sondern auch in der Tonhöhe verschoben werden. So singt etwa die erste Stimme ein Thema, das mit C beginnt, und die zweite Stimme, die sich mit der ersten überschneidet, singt dasselbe Thema, setzt aber auf der Oberquinte, bei G, ein. Eine dritte Stimme, noch einmal eine Quinte höher — bei D — könnte sich mit den ersten beiden überschneiden usw. Die nächste Komplexitätsstufe ist die, daß das Tempo der verschiedenen Stimmen nicht dasselbe ist. So kann etwa die zweite Stimme doppelt so schnell oder halb so schnell wie die erste singen. Das erste nennt man Diminution (Verkleinerung), das zweite Augmentation (Vergrößerung) (da das Thema zu schrumpfen, bzw. sich auszudehnen scheint).
    Wir sind aber noch nicht am Ende! Die nächste Komplexitätsstufe in der Konstruktion eines Kanons ist die Umkehrung des Themas, was bedeutet, eine Melodie herzustellen, die nach unten geht, wo immer das ursprüngliche Thema nach oben geht, und zwar um genau gleich viele Halbtöne. Das ist eine recht sonderbare Transformation, aber wer viele solche Umkehrungen gehört hat, findet sie allmählich ganz natürlich. Bach liebte die Umkehrungen besonders; sie finden sich häufig in seinen Werken, auch im Musikalischen Opfer. (Ein einfaches Beispiel einer Umkehrung ist Good King Wenceslas [vgl. Abb. 4a ]. Singt man das Original und seine Umkehrung zusammen, und zwar mit einer Oktave Abstand und einer Verschiebung um zwei Schläge, ergibt sich ein hübscher Kanon.) Die schwierigste „Kopie“ ist die rückläufige, in der das Thema von hinten nach vorn gespielt wird. Ein Kanon, der sich dieses Kunstgriffs bedient, heißt Krebskanon, weil er an die besondere Art der Fortbewegung des Krebses erinnert. Bach nahm ins Musikalische Opfer, wie nicht anders zu erwarten, einen Krebskanon auf. Man beachte, daß jede Art der „Kopie“ alle im ursprünglichen Thema enthaltene Information in dem Sinne bewahrt, daß das Thema von jeder beliebigen Kopie aus rekonstruiert werden kann. Eine solche informationsbewahrende Transformation nennt man oft Isomorphie, und wir werden in diesem Buch häufig mit Isomorphien zu tun haben.
    Manchmal ist es wünschenswert, die Strenge der kanonischen Form etwas zu lockern, etwa indem man geringfügige Abweichungen von einer genauen Kopie um einer flüssigeren Harmonie willen zuläßt. Es gibt auch Kanons mit „freien“ Stimmen, also solche, die vom Thema des Kanons keinen Gebrauch machen, sondern die einfach auf angenehme Weise mit den Stimmen, die miteinander den Kanon bilden, harmonieren.
    Jeder der Kanons im Musikalischen Opfer beruht auf einer anderen Variation des Königlichen Themas, und von allen soeben beschriebenen Mitteln, Kanons zu komplizieren, hat Bach erschöpfend Gebrauch gemacht und sie sogar gelegentlich kombiniert.

Abb. 4a . Good King Wenceslas . Kanon durch Umkehrung von Scott E. Kim.
    So nennt er einen dreistimmigen Kanon „Canon per Augmentationem, contrario Motu“, die mittlere Stimme ist frei (sie singt das Königliche Thema), während die beiden anderen kanonisch mittels Augmentation und Umkehrung über und unter ihr tanzen. Ein anderer trägt einfach die kryptische Bezeichnung „Quaerendo invenietis“ („Suchet, so werdet ihr finden“). Alle Kanonrätsel sind gelöst worden. Johann Philipp Kirnberger, ein Schüler Bachs, hat die Lösungen angegeben. Man fragt sich aber dennoch, ob es nicht noch andere zu entdecken gibt!
    Ich muß auch noch kurz erklären, was eine Fuge ist. Sie ist dem Kanon ähnlich, indem sie gewöhnlich auf einem Thema basiert, das von verschiedenen Stimmen und in verschiedenen Tonarten, gelegentlich auch in
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