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Godspeed Bd. 1 - Die Reise beginnt

Godspeed Bd. 1 - Die Reise beginnt

Titel: Godspeed Bd. 1 - Die Reise beginnt
Autoren: Beth Revis
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funkelte in dem Schlauch, der in Moms Ellbogen führte.
    »Okay, das reicht«, sagte Ed. »Jetzt ist alles in ihrem Blut.«
    Hassan nahm die Infusionen ab. Mom stieß einen zittrigen Seufzer aus.
    Dad zog mich vorwärts. So auf Mom herabzusehen, erinnerte mich daran, wie ich im letzten Jahr Großmutter in der Kirche angesehen hatte, als wir alle da waren, um Abschied zu nehmen, und als Mom gesagt hatte, dass sie jetzt an einem besseren Ort wäre, obwohl sie doch eigentlich nur meinte, dass sie tot war.
    »Wie ist es?«, fragte ich.
    »Nicht schlimm«, log Mom. Wenigstens konnte sie noch sprechen.
    »Darf ich sie berühren?«, fragte ich Ed. Er zuckte mit den Schultern, also griff ich nach den Fingern ihrer linken Hand. Sie waren schon eiskalt. Und sie drückte nicht zurück.
    »Können wir weitermachen?«, fragte Ed. Er schüttelte eine große Flasche mit Augentropfen.
    Dad und ich traten zurück, aber nicht so weit, dass Mom das Gefühl bekäme, wir hätten sie in diesem eisigen Sarg alleingelassen. Ed zog Moms Augenlider hoch. Er hatte große, schwielige Finger; an den papierdünnen Lidern meiner Mutter wirkten sie wie grob behauene Baumstämme. Ein Tropfen einer gelben Flüssigkeit fiel in jedes ihrer grünen Augen. Ed machte es schnell – tropf, tropf  –, dann drückte er ihre Augen zu. Sie machte sie nicht wieder auf.
    Ich muss total geschockt ausgesehen haben, denn als Ed mich diesmal anschaute, unterbrach er seine Arbeit tatsächlich lange genug, um mir beruhigend zuzulächeln. »Damit sie nicht blind wird«, sagte er.
    »Es ist okay«, sagte Mom aus ihrem Schuhkartonsarg. Doch obwohl ihre Augen zugeklebt waren, konnte ich die Tränen in ihrer Stimme hören.
    »Schläuche«, sagte Ed, und Hassan reichte ihm ein Trio durchsichtiger Plastikschläuche. »Hören Sie.« Ed beugte sich dicht über Moms Gesicht. »Die müssen in Ihre Kehle. Das wird nicht angenehm. Versuchen Sie so zu tun, als würden Sie sie schlucken.«
    Mom nickte und öffnete den Mund. Ed rammte ihr die Schläuche in den Hals. Mom würgte; es war eine heftige gewaltsame Bewegung, die in ihrem Bauch anfing und sich bis zu ihren trockenen, gesprungenen Lippen hocharbeitete.
    Ich warf Dad einen Blick zu. Seine Augen waren hart und kalt.
    Es dauerte eine Ewigkeit, bis sie wieder ruhig dalag. Sie versuchte immer noch zu schlucken, weil sich ihre Halsmuskeln erst an die Schläuche gewöhnen mussten. Ed fädelte die Schläuche durch ein Loch im Deckel des Schuhkartonsargs, direkt über Moms Kopf. Hassan öffnete eine Schublade und zog ein Gewirr von Elektrokabeln heraus. Ein Bündel bunter Drähte stopfte er in den ersten Schlauch, ein langes schwarzes Kabel mit einer kleinen Box am Ende in den zweiten und schließlich ein kleines, viereckiges Stück Plastik, das aussah wie eine Solarzelle an einem Glasfaseroptik-Kabel in den dritten. Hassan stöpselte die ganzen Drähte an einen weißen Kasten an, den Ed über dem Loch im Deckel des Schuhkartons befestigte, der im Grunde nichts anderes war als eine aufwendige Lagerkiste, wie mir inzwischen klar geworden war.
    »Verabschiede dich.« Ich schaute auf, überrascht von der Freundlichkeit der Stimme. Ed stand mit dem Rücken zu uns und tippte etwas in einen Computer; es war Hassan, der gesprochen hatte. Er nickte mir ermutigend zu.
    Daddy musste an meinem Arm rucken, damit ich mich Mom näherte. Dies war nicht das letzte Bild, das ich von ihr in Erinnerung behalten wollte. Gelbes Zeug verkrustete ihre Augen, Schläuche mit Kabeln steckten in ihrem Hals, und durch ihre Adern wurde himmelblauer Glibber gepumpt. Daddy küsste sie, und Mom versuchte, zu lächeln. Ich tätschelte ihre Schulter. Sie war eiskalt. Mom gurgelte mir etwas zu und ich beugte mich tiefer über sie. Drei Laute, eigentlich nur drei blubbernde Grunzer. Ich drückte Moms Arm. Ich wusste, die drei Worte, die sie durch die Schläuche pressen wollte, waren »Ich liebe dich«.
    »Momma«, flüsterte ich und streichelte ihre papierdünne Haut. Seit ich sieben war, hatte ich sie nur noch Mom genannt.
    »Okay, das war’s«, sagte Ed. Daddys Hand umfasste meinen Arm und er zog mich sanft weg. Ich riss mich los. Da änderte er seine Taktik, nahm meine Schultern und wirbelte mich herum. Er drückte mich an seine harte, muskulöse Brust, und diesmal wehrte ich mich nicht. Ed und Hassan hoben etwas an, das aussah wie die Krankenhausversion von einem Feuerwehrschlauch, und mit himmelblauem Glitzerkram versetztes Wasser flutete in den
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