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Gnosis

Gnosis

Titel: Gnosis
Autoren: Adam Fawer
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irgendwas. Dabei war es egal, ob Guzman nun eine Schwäche für Drogen, Zigaretten oder Alkohol hatte. In jedem Fall hinderte es ihn daran, sich zu konzentrieren.
    Leise sagte Elijah in sein Headset: «Vergiss ihn.»
    Terry nickte, unmerklich für die Testpersonen, und doch deutlich, um Elijah anzuzeigen, dass sie ihn gehört hatte. Die Sitzung dauerte ganze siebenundfünfzig Minuten, doch Elijah nahm die Zeit kaum wahr. Als sich die Probanden schließlich von ihren Stühlen erhoben, sank er erschöpft in seinen grünen Ledersessel.
    Er nahm ein Glas mit kaltem Wasser und trank es in drei Zügen aus. Er schloss die Augen. Plötzlich ging die Tür des halbdunklen Zimmers auf, und Elijah schreckte hoch, bereit, sich gegen einen Eindringling zu verteidigen. Doch es war nur Terry.
    «Entschuldige», sagte Terry. «Immer vergesse ich, anzuklopfen.»
    Elijah zuckte mit den Schultern und starrte auf seine Knie herunter. «Schon o-k-k-kay.»
    Terry setzte sich. Sie hielt drei Meter Abstand, was weniger war, als Elijah lieb gewesen wäre, aber es war auch kein Weltuntergang. Terry sprach mit der energischen Ruhe einer guten Samariterin weiter, die jemandem ausreden möchte, vom Dach zu springen.
    «Und was meinst du?»
    Elijah warf einen Blick auf seine Notizen, ein mehr oder weniger unlesbares blau-rot-grünes Gekritzel auf gelbem Papier. Sein fotografisches Gedächtnis machte die Notizen überflüssig, aber die krummen A’s und eckigen T’s vor sich zu sehen beruhigte ihn. So konnte er sich besser konzentrieren.
    Tatsächlich hatte der Umstand, dass er sich beruhigte, nicht so sehr mit dem zu tun, was er betrachtete, sondern eher mit dem, was er nicht betrachtete. Weil er sich Terry so verbunden fühlte, konnte er ihr kaum in die Augen sehen. Er konnte nur Fremde beobachten, und in den letzten zwei Monaten hatte er so eng mit Terry zusammengearbeitet, dass sie praktisch Freunde geworden waren.
    Also behielt Elijah die bunten Buchstaben im Blick, die er mit schwarzem Filzer geschrieben hatte. Natürlich wusste er, dass die Buchstaben monochrom waren, doch durch seine Synästhesie schillerten sie vor Elijahs Augen in allen Farben des Regenbogens. Ein weiteres Beispiel dafür, dass der Körper den Geist beherrschte und die Wahrnehmung bestimmte.
    Dennoch war Elijah froh über seine Synästhesie, dieses seltene Syndrom, das durch eine unerklärliche neurosynaptische Kommunikation zwischen den verschiedenen Hirnteilen hervorgerufen wurde. Die Folgen waren bizarr. Manche Leute schmeckten Formen, andere sahen Musik oder hörten Gerüche. Bei Elijah plapperten Sprachzentrum und Sehrinde munter miteinander, weshalb er jeden Buchstaben des Alphabets in einer anderen Farbe sah.
    Erst mit acht Jahren war Elijah bewusst geworden, dass keiner seiner Freunde ein A rot und ein B violett sah. Anfangs fand er es schrecklich, anders zu sein, doch bald merkte er, dass es ihn mit sinnvollen Gedächtnishilfen ausstattete und sein Erinnerungsvermögen stärkte.
    Es hatte seine Vorteile, anders zu sein.
    «Also, ich wäre so weit», sagte Terry und riss Elijah aus seinen Gedanken.
    Er räusperte sich und trug seine Analyse vor.
    «Der erste Spot war zu vergeistigt. Alle haben sich gelangweilt. Der zweite war ganz gut, aber einigen Frauen hat nicht gefallen, dass da ein Politiker mit seinem Jagdgewehr gezeigt wurde. Nummer drei hat auf fast jeder Ebene funktioniert. Der Spot ist am besten, aber auch an dem muss noch gefeilt werden.»
    Elijah blickte auf und stellte erleichtert fest, dass sich Terry auf ihren Blackberry konzentrierte. Eifrig schrieb sie jedes Wort mit. Ohne sich von dem kleinen, leuchtenden Display abzuwenden, sagte sie: «Gut. Jetzt gib dem Ganzen mal ein bisschen Farbe.»
    Elijah lächelte über den unfreiwilligen Scherz, dann erläuterte er ausführlich, was ihm bei den zehn Testgruppen aufgefallen war, die sie in dieser Woche geleitet hatte, wobei er seine Befunde nach Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit, Alter und Einkommen aufschlüsselte. Sie unterbrach ihn selten, um während seines zweiundvierzigminütigen Monologs nur die eine oder andere Detailfrage zu stellen.
    Er bezweifelte, dass er sie noch überraschen konnte. Schließlich war Terry eine hochqualifizierte Moderatorin und hatte – genau wie Elijah – eine Ausbildung in Psychologie und Organizational Behaviour. Ging es jedoch um Analysen, ließ sie ihm gern den Vortritt. Elijahs Instinkte waren Gold wert. Immer wenn jemand wissen wollte, was Leute wirklich
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