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Glutnester

Glutnester

Titel: Glutnester
Autoren: Gabriele Diechler
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Thema.
    »War ’ne blöde Idee, ihn noch mal angrapschen zu wollen«, gesteht Anna, ungewöhnlich ehrlich.
    »Du wolltest mit der Vergangenheit abschließen«, erinnert Elsa Anna an ihren Plan. »Das find ich schwer in Ordnung.«
    »Vergangenheit ist was für Alte. Ich hab höchstens gelebtes Leben. Das ist mir inzwischen klar geworden«, entgegnet Anna, als riefe sie sich keine Sekunde von dem ins Gedächtnis, was sie mal vorhatte. Nämlich zu überprüfen, ob ihre erste Liebe, Lars, ihr noch Gefühle entlockt oder endgültig weg vom emotionalen Fenster ist.
    »Dann bist du immerhin um eine Erkenntnis reicher«, freut Elsa sich. »Gelebtes Leben ist übrigens der Grund, weshalb ich zurück muss. Falsch gelebtes, um genau zu sein«, erklärt sie und schaut ihre Tochter, die kein Wort versteht, von der Seite an. Gut sieht Anna aus. Die dunklen Haare, die sie neuerdings kinnlang trägt, schmeicheln sich um ihr zartes Gesicht, das wild geschminkt ist. In einer Intensität, die nicht zu ihrer Jugend passt. Die neue Jeans und der figurbetonte Pullover mit kleinen, mit Strass besetzten Schweinchen drauf scheint etwas zu verdeutlichen, was Elsa schmerzlich verspürt, wenn sie Anna anschaut. Figurbetont. Rosa Schweinchen. Eine Mischung aus Frau und Kind. Kindfrau. Anna ist beides oder nichts von allem. Vor allem ist sie rebellisch. Mit kurzen Pausen der Einsicht, die schneller in Wort-Vulkane mutieren, als Elsa lieb ist.
    Sie fährt sich instinktiv mit den Händen durchs eigene Haar. Ahnt, dass die Idee, die Haare wachsen zu lassen, lediglich ein Versuch ohne Plan dahinter ist. Vielleicht sollte sie morgen gleich zum Friseur gehen und kurzen Prozess machen?, grübelt sie.
    »Der nächste Mord?«, mutmaßt Anna, presst die Lippen aufeinander, um den Lipgloss zu verteilen, den sie gerade aufgetragen hat, und schüttelt den Kopf dabei. Sie zerrt einen Kaugummi aus ihrer Jeans, reißt das silberne Papier ab und steckt ihn sich in den Mund. »Kaum zu glauben, dass bei uns Morde stattfinden. Im hintersten Winkel Bayerns. Das glaubt in Köln niemand.«
    Elsa weiß, dass Anna das Kaugummipapier, zu einem kleinen Kügelchen zusammengedrückt, irgendwohin fallen lässt. Vermutlich auf die Fußmatte. Eine Methode, Abfall zu entsorgen, die sie ihr einfach nicht abgewöhnen kann und gegen die kein Argument etwas ausrichtet. Elsa seufzt, verwirft den Gedanken, sich zu ärgern, und spricht weiter.
    »In dem Moment, wo zwei Menschen über einen längeren Zeitraum aufeinandertreffen, schätze ich die Wahrscheinlichkeit, dass früher oder später ein Gewaltverbrechen stattfindet, auf 50 Prozent.«
    »Die Hälfte überlebt? Tatsächlich? Praktizierst du neuerdings positives Denken?« Anna boxt Elsa sanft in die Seite, hält ihr das Kaugummipapier-Kügelchen entgegen, lässt es mit kleiner Geste in den Ascher plumpsen und grinst dabei übers ganze jugendliche Gesicht.

2. Kapitel
    Elsa parkt ihren Wagen gleich um die Ecke von Degenwalds Haus. Die wenigen Male, die sie ihren Kollegen vom Kommissariat 1, das sich um Tötungs-und Sexualdelikte kümmert sowie Brandsachen bearbeitet, zu Hause besucht hat, hat sie es sich, weshalb auch immer, zur Angewohnheit gemacht, nicht vor seinem Wohnhaus zu parken. Obwohl es gegenüber davon genügend Haltemöglichkeiten gibt. Vielleicht will sie im Gedanken aussteigen, keinesfalls vom Fenster aus beobachtet zu werden. In Ruhe in den Mantel schlüpfen. Sich ein letztes Mal die Haare richten. Und die Augenbrauen mit den Fingerkuppen glatt streichen. Darauf scheint es ihr anzukommen. Erst danach mag sie ihm unter die Augen treten. Blöde Angewohnheit!, murrt Elsa innerlich, als ihr aufgeht, wie idiotisch sie sich verhält. Kaum zu Ende gedacht, schimpft sie weiter, eben weil sie sich ausschimpft. »Idiotisch, dass ich immer an mir rummäkeln muss!«, setzt sie ihr zuvor stummes Schimpfen laut fort. Eine Frau bleibt immer eine Frau. Eine geschiedene besonders!, hört sie Degenwald referieren und ist bereits, bevor sie ihm gegenübersteht und obwohl er nichts getan oder gesagt hat – höchstens ausgedacht in ihrem Gehirn –, gegen ihn eingenommen. Die Angst vor der Angst.
     
    Degenwald drückt ihr ein gut gekühltes Glas Weißwein in die Hand. Dabei streift seine Hand flüchtig über die Haut ihres Daumens. Mehr ein Berührungsblitz als eine tatsächliche, ungeplante warme Betastung zweier Hände. Elsa zuckt zusammen und steckt das kurze Gefühl des Behagens weg. »Ein leichter, süffiger Wein, den ich erst
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