Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Glutnester

Glutnester

Titel: Glutnester
Autoren: Gabriele Diechler
Vom Netzwerk:
kann. Auskosten ist das Wort, das Elsa mit dem Moment verbindet. Seltsamerweise und ganz unvermittelt. Jetzt, nachdem sie das Ärgste überstanden hat, geht das. Hartmuts Affäre fällt in einen tiefen Brunnen. Ein schwarzes Loch der Vergangenheit. Elsa steht davor, starrt hinunter und grinst. Dieses Bild und dieser Umstand ringen ihr doch noch ein hastiges Lächeln ab. Kein echtes, tiefes, freudiges, aber zumindest ein schadenfrohes, erleichtertes.
    »Lass mal, Hartmut. Es ist, wie’s ist. Wir beide gehören geschieden. Das haben wir uns redlich verdient.«
    »Blödsinn! Wir hätten die Kurve gekriegt. Wenn du nicht so verbohrt gewesen wärst und uns eine zweite Chance abgesprochen hättest.« Er schaut sie mit einem Mal traurig an. Ernsthaft und ehrlich traurig. Sein Gesicht kommt näher, verschwimmt vor ihren Augen. Sie sieht die beigefarbenen Poren seiner Haut übergroß. Spürt seinen immer noch vertrauten Atem. Obwohl er nach einem anderen Parfüm riecht. Das hat sie ihm gekauft. Die Neue. Um alles Vergangene endgültig auszumerzen. Seine Seife ist immerhin gleich geblieben. Als feinen Hauch wahrnehmbar, erschnuppert Elsa außerdem die eine oder andere Zigarette zwischendurch, die er wohl auf dem Gang, hinter sich die geschlossene Tür seines Büros, raucht, obwohl das nicht gern gesehen wird. Dann fühlt sie, ohne Ankündigung oder Vorahnung, die Kälte seiner Lippen auf ihrem Fleisch. Ein verunglückter Kuss. Wie so viele zuvor auch. Entweder zum falschen Zeitpunkt oder in falscher Art und Weise, oder aber, als Höhepunkt, der falschen Frau aufgedrückt. So war es oft, wenn Hartmut küsste. Dieser hier ist lediglich ein neuer in einer Reihe unzähliger verunglückter Küsse. Der erste und einzige, den er ihr als ihr geschiedener Mann gibt. Elsa bringt ihre Hände in Position und schiebt Hartmut energisch weg.
    »Keine gute Idee!«, meint sie. Dann fährt sie sich mit der rechten Hand über die Lippen. Als müsse sie seinen Speichel wegwischen. Infiziertes Nass.
    »Liebe hört doch mit einer Unterschrift auf einem Stück Papier nicht auf«, wehrt Hartmut sich. Er schaut sie groß an. Wie ein Junge, der unbedingt im Frühjahr schon wissen will, was es zu Weihnachten gibt. Irgendwo in sich drin glaubt er, damit durchzukommen. Unfassbar, denkt Elsa.
    »Meine schon!« Elsa hebt die Hand, formt sie plötzlich zu einem Gefäß und legt sie Hartmut, nie und nimmer geplant, auf die Wange. Sie fühlt die Kälte unter seinen Augen. Rechts und links des Mundes. Kälte, die sich von innen nach außen vorpirscht. Vorwitzige, dumme, innere Kälte. Seelenkälte.
    »Pass auf dich auf«, entkommt es ihr. Ein Satz wie auf einer Medikamentenschachtel. Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker oder Ihre Ex-Frau und passen Sie auf sich auf.
    »Elsa?«, krächzt Hartmut mit letzter Kraft. »Elsa! Ich … ich glaub, ich … lieb dich noch immer oder schon wieder, oder …«
    »Pssst! Schweig!« Sie spürt, wie ihr eine Träne in den Augenwinkeln sitzt. Sie drückt sie weg. Mit aller Gewalt. Tränen haben heute keine Genehmigung von ihr erhalten. Und als sie sie erfolgreich hinuntergeschluckt hat, fühlt sie, dass sie nicht nur frustriert, sondern auch erleichtert ist. Irgendwo in ihr drin. In einer ihrer seelischen Nischen. »Gönn uns wenigstens einen guten Abschied«, flüstert sie. Dann nimmt sie ihre Hand aus Hartmuts Gesicht, dreht sich um und geht davon.
     
    Elsa steht am Rheinufer und schaut dem Kahn hinterher, der sich durch das dichte Grau des Wassers pflügt. Einem Ziel entgegen, das sie nicht kennt. Sie hat in Bayern ein neues Zuhause gefunden. Ein Ziel allerdings noch nicht. Worauf soll sie ihr Leben auch abzielen, außer darauf, möglichst viele Kriminalfälle aufzuklären und mit Anna gut durch die Zeit der Pubertät zu kommen? Ein neuer Mann? Ben Fürnkreis etwa? Der wesentlich jüngere Kollege vom Kommissariat 3 für Spurensicherung und Tatortarbeit. Soll sie etwas mit ihm anfangen? Soll er das Fehlen warmer Hände auf ihrem Körper wiedergutmachen? Darauf hat sie sich längst mit Nein geantwortet. Elsa bückt sich, nimmt einen Stein auf, fährt mit der weichen, hellen Fläche ihr Handinneres ab und wirft ihn laut klatschend ins Wasser. Der Stein geht unter wie ihre Ehe zuvor im Saal des Gerichtsgebäudes. Elsa seufzt, dreht sich um und geht auf die Häuser, gar nicht weit entfernt, zu.
     
    Ihre schlanke Silhouette spiegelt sich in der Auslage eines Geschäfts für exklusive Tischkultur wider. Sie überquert mit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher