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Glühende Lust

Glühende Lust

Titel: Glühende Lust
Autoren: Laura Simon
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noch heftiger, als sie dem großen Schiff entgegengerudert wurde; sie musste den Blick von den riesigen gemalten Augen am Bug abwenden. Eine Strickleiter tauchte vor ihr auf; man packte sie am Hintern und hob sie hoch, so dass ihr nichts anderes übrigblieb, als nach den Stricken zu greifen und hinaufzuklettern, vorbei an den waagerecht aufgestellten Rudern. Oben wurde sie von einem kräftigen Mann gepackt und unsanft über die Bordwand gezerrt. Dann lag sie auf dem Mittelgang, das Gesicht Schanherib zugewandt, der ebenfalls auf den Ellbogen kauerte.Zwischen seinen wirren Strähnen hindurch sah sie seinen überraschten Blick. Alles umsonst , schien er zu sagen. Sie sprang auf. Sie wollte auf ihn zulaufen und ihn ein letztes Mal umarmen, bevor man sie endgültig auseinanderzerrte. Eine Wand von Kriegern baute sich vor ihr auf. Sie schlug um sich, zerkratzte sich die Nägel an den bronzebesetzten Rüstungen. Zakutus Lächeln ließ sie erstarren. Assyrische Worte sprangen hin und her. Dann Rufe, sie klangen verwirrt und ärgerlich wie Flüche. Unruhe entstand dort, wo Schanherib gelegen hatte. Merit reckte den Kopf. Sie sah ihn nicht mehr.
    Das Gesicht der Königin war gerötet vor Zorn; sie ballte eine hocherhobene Faust und brüllte Worte, die wie Befehle klangen. War es Schanherib tatsächlich gelungen, die von Merit verursachte Ablenkung zu nutzen und über Bord zu springen?
    Merit blieb keine Zeit, eine Antwort darauf zu finden. Sie wurde ins Zelt geschoben. Hier empfing sie Dunkelheit. Nur langsam schälten sich Konturen aus der Schwärze: der Mast. Zwei Menschen.
    »Merit!«
    »Nefertem?«
    Unsanft stieß man sie vorwärts. Sie stolperte über etwas, das sich als Leichnam eines Assyrers herausstellte, wollte entsetzt schreien und wurde an den Haaren weitergezerrt. Ein Soldat packte ihr Fußgelenk, wand eine Lederschnur darum und knotete das andere Ende an den eisernen Ring, der im Mast steckte. Sie begriff, dass die Kette dort zu Nefertems Fuß führte. Auch Tani war daran festgebunden. Strampelnd wehrte Merit die Hände des Mannes ab, der die Gelegenheit nicht lassen wollte, nach ihren Rundungen zu greifen. Beim Hinausgehen schleifte er den Toten hinter sich her.
    Sie fühlte sich von Nefertem umarmt und mit Küssen auf Wangen und Augen bedeckt. »Schwesterchen, das hätte nie geschehen dürfen«, klagte er. »Nicht du auch noch, nicht du!«
    »O Nefertem …«, sie schlang die Arme um ihn. Erleichterung durchströmte sie, ihn wiederzuhaben. Doch es schwand schnell, als sie in der Düsternis sein verhärmtes Gesicht erahnte. Er musste Schlimmes durchgemacht haben, seit Schanherib ihn von ihr getrennt hatte. Sie strich durch sein kurzes Haar.
    »Was geht draußen vor sich?«
    »Ich – ich weiß nicht«, stammelte sie. »Es scheint, als sei Schanherib plötzlich verschwunden. Einer seiner Männer ist tot.«
    »Es ist alles meine Schuld«, hörte sie Tani hinter sich mit zittriger Stimme jammern, aus der blanke Angst sprach. »Wäre ich nur nicht in den Palast gelaufen. Ich hab ihnen gesagt, dass Schanherib bei dir ist. Die Königin ist ganz versessen darauf, ihn in ihre Hände zu kriegen. Sie hatte es darauf abgesehen, dass er herkommt, um uns zu befreien.«
    »Was ihr euch da ausgedacht habt, war von Anfang an zum Scheitern verurteilt«, warf Nefertem düster ein.
    Merit löste sich von ihrem Bruder und zog Tani an sich. »Genauso gut ist es meine Schuld, weil ich von Schanherib weggelaufen bin und nicht daran gedacht habe, welche Sorgen du dir machst.«
    »Schau, Kawit ist auch hier.« Tani drückte ihr ein Fellbündel in die Hände. Die Katze schaute ängstlich. Beruhigend hob Merit sie an die Brust und streichelte das Köpfchen mit der Wange. »Sie ist auch eingeschüchtert und versucht nie, wegzulaufen«, erzählteTani. »Aber ich hab Angst um sie, weil die Männer schon geschimpft haben, dass sie an Deck ihre Hinterlassenschaften verteilt. Und sie haben auch nichts zum Fressen für sie übrig, ich muss ihr mein Fleisch geben.«
    Ein wenig dünner schien Kawit in der Tat geworden zu sein. Unwillkürlich begann Merit sich schlimme Bilder auszumalen: ein Tierkadaver auf einer Speerspitze, getragen von einem Krieger, der die Straßen von Ninive durchschritt. Tani, Nefertem und sie dahinter, in Lumpen und gezeichnet von einer entbehrungsreichen Reise. Fremdartige Leute am Straßenrand, die sie mit Dreck bewarfen. Und dann, vor einer Zikkurat, die sich mächtig und düster in den Himmel reckte, riss man sie
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