Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Glückskinder – Warum manche lebenslang Chancen suchen - und andere sie täglich nutzen

Glückskinder – Warum manche lebenslang Chancen suchen - und andere sie täglich nutzen

Titel: Glückskinder – Warum manche lebenslang Chancen suchen - und andere sie täglich nutzen
Autoren: Hermann Scherer
Vom Netzwerk:
da oben, wir da unten. Unsereins stellt sich eben in die Reihe. Hm. Ist es Angst? – Der Weg nach vorn, vorbei an allen andern. Allein. Wer will sich derart exponieren? Warum ausscheren? Nach dem Gesetz der Herde ist immer der Ausreißer Schuld. »Fürchte den Zorn der Menge!«, sagt der Mann im Ohr. »Sie packt dich und zertrampelt dich. Also lass es!« Naja. Oder ist es schlicht Mittelmäßigkeit der Gedanken? Unflexibilität im Geiste? Ungewohntheit der Optionen? Das will ich alles kaum glauben. Also will ich der Sache auf den Grund gehen.
    |18| Chance oder nicht?
    Chancen sehen zweitens oft nicht wie Chancen aus, drittens haben sie nichts mit Visionen zu tun, viertens fallen sie einem nicht in den Schoß, fünftens liegen sie nie in der Zukunft, sechstens gehorchen sie keinen Regeln. Und erstens sind Adventskalender todlangweilig.
    Man muss nur den Glaubenssatz streichen, dass an jedem Tag Schokolade drin sein muss.
    Jeden Morgen im Dezember die Frage: Was mich heute wohl erwartet? Uuuiii, Schokolade. Das ist zwar einerseits fantastisch verlässlich, andererseits aber auch sehr gewöhnlich, alltäglich, banal. Und genau da liegen sie, die Chancen: im Alltäglichen nämlich. Das Prinzip des Adventskalenders ist nämlich eine wunderbare, zeitlose Idee. Man muss nur den Glaubenssatz streichen, dass an jedem Tag Schokolade drin sein muss. Deshalb bastele ich meine seit Jahren selbst, mit großem Vergnügen. Ich fülle Stoffsäckchen, Filzhütchen und Flanellläppchen je nach Vorliebe meiner Lieben. Letztes Jahr habe ich mir was ganz Raffiniertes einfallen lassen. Da mein (damaliger) Schatz Häagen-Dazs-Eis fast noch mehr liebte als mich, bin ich in die nächste Filiale gegangen und habe mir 24 leere Dosen inklusive Deckel zugelegt. (Nach kurzem Diskurs über Markenhygiene zum Preis einer Eisportion. Die Leute dort sind nicht auf den Kopf gefallen.)
    Die Becher habe ich mit allerlei Schnickschnack gefüllt, von der Mozartkugel über den Massagegutschein bis fast zum Zwölfkaräter an Nikolaus. Die Überraschung zu Heiligabend verrate ich natürlich nicht. Meine Adventskalender erfreuen sich von Jahr zu Jahr wachsender Beliebtheit und das nicht nur bei meiner Partnerin, sondern vor allem auch bei meinen Freunden. Denn die wollen (es werden Jahr für Jahr mehr Bestellungen) genau so einen Kalender für ihre Frauen. So bekomme ich schon im Oktober die ersten Anrufe: »Hermann. Hör mal. Du machst das doch eh. Ist doch egal, ob ein-, zwei- oder dreimal!?«
    Sie sind so hundsgewöhnlich wie ein Teebeutel, ein Schmetterling, ein Fliegenpilz.
    So und dann kommt es, ich kann nicht anders: Ich bin angesichts dieser Erfahrungen der festen Überzeugung, dass mit einem kleinen |19| feinen Premium-Adventskalender-Shop im Internet und der nötigen Pressearbeit in den Society-Titeln unter dem Motto »Make your own Adventskalender« ein gutes Geschäft zu machen wäre. Das ist keine
rocket science
. Im Gegenteil, es ist sogar ziemlich banal. So banal, dass mittlerweile Porsche Design damit begonnen hat, Adventskalender zu vertreiben, momentan limitiert auf fünf Stück weltweit zum Einzelpreis von 1   000   000 Euro. Inklusive Motorboot und übrigens ohne Porsche. Den hat man ja schon. Das ist die gleiche, schlichte, alltägliche Idee, nur sehr konsequent umgesetzt. Chancen sind so alltäglich wie das Leben. Sie sind weder zahlreich noch selten. Sie sind so hundsgewöhnlich wie ein Teebeutel, ein Schmetterling, ein Fliegenpilz. Das ist der erste Punkt.
    Jede Chance ist nur eine Betrachtungsweise des Alltags. Wir halten sie für selten, weil Menschen mit der Fähigkeit zur ganz speziellen Betrachtungsweise so selten sind. Menschen, die die Frequenz des Tarnschildes kennen, mit denen sich die Chancen überall im Leben verbergen. Sie sehen auf den ersten Blick nicht aus wie Chancen, das ist Punkt zwei.
    An Irrtümer und Gefahren trauen sich erst recht die wenigsten heran. Dort lauern die echten, fetten Chancen, gut verborgen. Und oft sehen sie sogar wie Niederlagen aus.
    So wie am 12. April 1961, als ein Mann mit rot-weiß gestreifter Krawatte und Seitenscheitel in ein Mikro spricht, das aussieht wie eine Kreuzung aus Toaster und Rasierapparat. Seine Rede klingt wie eine Predigt. Aber das erwarten die 200 Millionen Zuhörer an den Radio- und Fernsehgeräten von einer »Special Message to the Congress on Urgent National Needs«. Juri Gagarin hat vor wenigen Stunden als erster Mensch im All die Erde umrundet. Die Sowjets triumphieren.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher