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Gluecklich, wer vergisst

Gluecklich, wer vergisst

Titel: Gluecklich, wer vergisst
Autoren: Edith Kneifl
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gekünstelt. „Du hast Philip nicht gekannt. Du warst damals ein Kind.“
    Ich wollte widersprechen. Zwar hatte auch ich Philip nicht leiden können, aber ich hatte ihn eher für einen Pantoffelhelden gehalten.
    „Als uns das Wasser wieder mal bis zum Hals gestanden ist, habe ich ihn überreden können, ebenfalls Gesangsstunden zu geben“, fuhr Walpurga fort. „Der Herr Kammersänger war anfangs ein sehr begehrter Lehrer in unserem Dorf. Sogar aus den Nachbarorten sind die Schülerinnen in Scharen gekommen.“
    „Na wunderbar“, warf ich verlegen ein. Ihre Lebensbeichte war mir peinlich.
    Walpurga ließ sich durch meine ironische Bemerkung nicht beirren. „Dieser unerwartete Geldsegen hat nicht lange angehalten. Nach ein paar Monaten hatten sich seine Unzuverlässigkeit und sein Alkoholproblem herumgesprochen. Meistens habe ich seine Unterrichtsstunden übernommen. In letzter Zeit hat er überhaupt nur mehr mit blutjungen Mädchen gearbeitet. Was mich sehr beunruhigt hat, wie du dir vorstellen kannst. Er hat behauptet, dass ihm die alten Matronen vom Kirchenchor alle an die Wäsche wollten. Ich weiß nicht, ob da was dran war oder nicht. Als er sich dann auch noch als Verwalter unserer Grundstücke aufgespielt hat, ist es nur mehr bergab gegangen. Bereits mein erster Mann hatte ein paar Felder und Wiesen an die umliegenden Bauern verpachtet. Philip hat dann die Felder sukzessive verkauft, um seinen aufwendigen Lebensstil finanzieren zu können. Geblieben sind uns praktisch nur mehr ein paar Quadratmeter rund ums Schloss. Im heurigen Frühjahr wurde sogar unser letzter Wald versteigert. Ich habe die Kreditzinsen nicht mehr bezahlen können. Den Zuschlag hat der Roither-Bauer erhalten. Erinnerst du dich an ihn?“
    Ich schüttelte den Kopf, obwohl mir der Name bekannt vorkam.
    „Egal, das ist eine andere Geschichte. Er und Philip waren seither Todfeinde, haben sich gegenseitig das Leben schwer gemacht. Philip hatte von Anfang an große Pläne mit dem Schloss. Zuerst wollte er einen Golfplatz errichten, doch dazu hatten wir nicht genügend Grund. Dann interessierte sich ein deutscher Industrieller für das Gebäude. Diesen Großkotz haben Franzi und ich verscheucht. Philip hat danach einen Monat lang kein Wort mit uns gewechselt. Zuletzt wollte er das Schloss als Time-Sharing-Hotel an eine amerikanische Investorengruppe verkaufen. Der Vertrag lag bereits auf dem Tisch. Ich hätte nur mehr unterzeichnen müssen. Und ich muss zugeben, das Angebot war sehr verlockend. Aber ich verbinde mit diesem Haus so viele schöne Erinnerungen. Außerdem will ich es für Albert erhalten. Er ist ein Geborener von Welschenbach und es ist sein Besitz, selbst wenn er nach dem Tod seines Vaters auf sein Erbe verzichtet hat. Albert interessiert sich nicht für weltliche Dinge. Du kennst ihn ja.“
    Ich nickte ungeduldig.
    „Lieber den Rest meines Lebens in Armut verbringen, als in einem netten, freundlichen Ein-Raum-Appartement im Seniorenheim Seewalchen auf das Ende zu warten. Außerdem habe ich ja nicht nur einen Sohn, sondern auch einen Enkel.“
    Ja, und du hast auch eine Tochter. Und die sitzt im Knast, dachte ich. Sogleich verflüchtigte sich mein Mitgefühl mit Walpurga wieder.
    Als hätte sie meine Gedanken gehört, fing sie von Franzi zu reden an.
    „Franzi war mir in all den Jahren eine große Stütze. Sie liebt unser Zuhause, will es genauso wenig aufgeben wie ich. Sie hat Philip oft in die Schranken gewiesen, wenn mir die Argumente ausgegangen sind.“
    Walpurga wischte sich ein paar Tränen aus den Augen. Warum hatte ich bloß das Gefühl, dass es falsche Tränen waren? Konnte ich dieser armen Haut denn nicht verzeihen, dass sie meiner Mutter damals den Mann ausgespannt hatte?
    „Ihre rhetorische Begabung hat sie nicht von mir.“ Walpurga sah mich bedeutungsvoll an, aber ich wollte es ihr nicht leichter machen, als es für mich war.
    „Mir ist erst klar geworden, wer Franzis Vater ist, als sie in die Volksschule kam. Im Alter von fünf, sechs Jahren begannen sich Victors Züge in ihrem Gesicht widerzuspiegeln. Die gleichen dunklen braunen Augen, der Mund seinem so ähnlich, das gleiche charmante Lächeln, das gleiche dichte Haar, nur die Farbe hat sie von mir geerbt …“, seufzte sie. „Leider kann ich mir jetzt keinen guten Anwalt für meine Tochter leisten. Deswegen habe ich Victor angerufen. Verzeih mir bitte, dass ich euch in diese schreckliche Geschichte mit hineingezogen habe. Ich war total verzweifelt,
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