Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Glücklich die Glücklichen

Glücklich die Glücklichen

Titel: Glücklich die Glücklichen
Autoren: Yasmina Reza
Vom Netzwerk:
durch Lamballe. Gerade genug Zeit, den Parkplatz zu erkennen, das rote Haus des Arztes (Marguerite verkündet es beinahe schreiend), die Gebäude des Bahnhofs, die Festungskirche. Alle Umrisse wirken verschwommen wie in einem tückischen Nebel. Ich denke an Papa, der zum letzten Mal, in einer engen Sporttasche, durch die Stadt seiner Kindheit fährt. Ich habe Lust, Rémi zu treffen. Ich habe Lust auf etwas Spaß. Und wenn ich mal diese Brustwarzenklammern ausprobiere, von denen mir Paola erzählt hat ? Arme Paola. Immer diese Achterbahn mit Luc (ich frage mich, ob Robert davon weiß). Wäre ich eine großzügige Freundin, würde ich sie Rémi Grobe vorstellen. Die würden sich mögen. Aber ich will Rémi für mich behalten. Rémi rettet mich vor Robert, vor der verstreichenden Zeit und vor allen Arten von Melancholie. Letzte Nacht lagen Robert und ich lange im Dunkeln, ohne etwas zu sagen. Irgendwann meinte ich, wer ist Lionel eigentlich jetzt für Jacob ? Ich spürte, dass Robert nachdachte und keine Antwort wusste. Halt in Saint-Brieuc. Gleichförmige weiße Häuser in einer langen Reihe. Ein Waggon der Kooperative Starlette de Plouaret – Bretagne , der abseits vom Bahnsteig gestrandet ist. Die armen Hutners. Und andererseits, wem sonst konnte so was passieren ? Der Zug fährt weiter. Marguerite sagt, die nächste ist Guingamp. Wenn wir nach Plou-Gouzan L’Ic fuhren, stiegen wir immer in Saint-Brieuc aus. Weiter bin ich noch nie gefahren. Papa hat mich nie über Plou-Gouzan L’Ic hinausgebracht, das Loch, wo er dieses verschimmelte Haus kaufte, das er liebte und das Maman und ich hassten. Luc hat Handschellen und Brustwarzenklammern besorgt, sagte Paola. Rémi kommt auf so was nicht. Aber ich werde die ja wohl nicht selber kaufen. Im Internet ? Und wo lasse ich das Päckchen hinliefern ? Guingamp, schreit Marguerite. Wir springen auf, als würde der Zug nur fünfeinhalb Sekunden halten. Marguerite und Maman stürzen sich auf die Türen. Robert schnappt sich die Go-Sport-Tasche. Ein Schild an einem verglasten Unterstand zeigt Brest an. Marguerite sagt, wir bleiben hier. Ein feuchter Windhauch bläst mir in den Nacken. Es ist kalt, sage ich. Marguerite protestiert. Sie will nicht, dass man was gegen die Bretagne sagt. Sie trägt ein blasslila Kostüm mit geschlossenem Kragen. Ein Seidenschal bedeckt ihre Schultern. Sie hat ihr Erscheinungsbild sorgfältig gestaltet, als führe sie zu einem Rendezvous. Mitten auf dem Bahnsteig sitzen die Leute, aufgereiht in dem Glaskäfig, auf einer einzigen Bank. Käsige Reisende, aneinandergepresst vor einem Haufen Gepäck. – Maman, sage ich, möchtest du dich setzen ? – Da rein ? Ganz sicher nicht. Sie zieht ihren Mantel über. Robert hilft ihr. Sie hat für den Anlass flache Schuhe angezogen. Sie blickt zur Bahnhofsuhr im alten Stil und zum Himmel, zu den Wolken, die langsam irgendwohin ziehen. Sie sagt, weißt du, woran ich gerade denke ? An meine kleine Schwarzföhre. Würd ich ja gern mal sehen, wie die heute ausschaut. Maman hatte eine Schwarzföhre zwischen die Apfelbäume von Plou-Gouzan L’Ic gepflanzt. Papa hatte gesagt, deine Mutter glaubt wohl, sie würde ewig leben. Sie hat einen Schössling von fünfzehn Zentimetern gekauft, weil das billiger ist; und sie glaubt, sie könnte noch mit Simons Urenkel drum herumspazieren. Robert sagt, mit ein bisschen Glück geht die dir jetzt bis zur Schulter, Jeannette, falls sie zwischenzeitlich keiner beim Unkrautjäten ausgerupft hat. Wir lachen. Mir ist, als hörte ich auch Papa in der Tasche lachen. Schließlich sagt Maman, vielleicht hatte sie es zu eng, um zwischen all den Apfelbäumen wachsen zu können. Robert macht ein paar Schritte zum Ende des Bahnsteigs hin. Seine Jacke ist am Rücken zerknittert. Er marschiert an den Gleisen entlang, hält den Gegenstand der Reise fest umklammert, wechselt von einem Bein aufs andere, sucht nach wer weiß welchem Ausblick auf dem leeren Bahnsteig. Der Zug, den wir von Guingamp nach Guernonzé nehmen, macht Geräusche wie die Eisenbahn früher. Die Scheiben sind schmutzig. Wir fahren an Barackenlagern vorbei, an Getreidesilos, dann ist die Aussicht von einem Wall und Gestrüpp verstellt. Keiner sagt groß etwas. Robert hat Hannibal weggepackt (neulich sagte er über ihn: was für ein großartiger Mensch) und macht sich an seinem Blackberry zu schaffen. Guernonzé. Der Himmel ist aufgerissen. Wir verlassen den Bahnhof und stehen auf einem von weißen Gebäuden mit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher