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Glockengeläut

Glockengeläut

Titel: Glockengeläut
Autoren: Robert Aickman
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Ausdruck war), doch seine Firma hatte ihn darin geschult, sich außerhalb des engsten Familienkreises niemals irgendwelche Irritationen anmerken zu lassen.
    »Zu freundlich«, erwiderte Mr. Falkner herzlich. »Was immer unsere Berufung im Leben sein mag, wir sollten dafür unser Bestes geben.« Er ließ die Sache auf sich beruhen und wechselte das Thema. »Gibt es irgend etwas, das ich Ihnen bringen lassen könnte? Noch irgendwelche Wünsche?«
    »Nein, danke vielmals, ich bin gut versorgt.«
    »Ich danke Ihnen, Mr. Maybury. Wenn Sie mich sprechen möchten, ich bin meist in meinem Büro erreichbar. Doch nun will ich Sie nicht länger davon abhalten, Ihr Essen zu genießen. Ich darf Ihnen verraten, daß es zum Nachtisch heißen Fruchtpudding geben wird.«
    Gelassen setzte er daraufhin seine Runde fort, wobei er vielleicht mit jedem dritten Gast an der langen Mitteltafel einige Worte wechselte, vornehmlich mit den Älteren unter den Herrschaften, wie der gute Ton es forderte. Falkner trug überaus elegante schwarze Wildlederschuhe, was Maybury an seine Beinverletzung erinnerte, eine Verletzung, um die er sich bislang noch gar nicht gekümmert hatte, obwohl sie sehr wohl septisch sein, ja womöglich das Bein oder gar den ganzen Körper gefährden könnte.
    Er war recht aufgebracht über Falkners Geheimniskrämerei um seinen Namen, vor allem, weil er keine Lösung des Rätsels wußte. Er spürte, daß er beinah absichtlich im Ungewissen gelassen, gegängelt worden war. Falkners herablassendes Benehmen in dieser an sich ja bedeutungslosen Angelegenheit paßte zu dem Kindermädchen-Getue der Serviererin. Und überhaupt, war denn die Entdeckung seines Namens, über die man ihm keine Rechenschaft geben wollte, eine Bagatelle ? Maybury spürte, daß es ihn auch in anderer Hinsicht, welcherart auch immer, verletzbar gemacht hatte. Es war der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte: Er würde nichts mehr vom Truthahn essen. Er hatte nicht mehr den geringsten Appetit.
    Er begann, wie man es ihm beigebracht hatte, sich die ganze Angelegenheit systematisch durch den Kopf gehen zu lassen, und fast augenblicklich glaubte er die Antwort gefunden zu haben. In seinem Wagen lag ein Aktenordner mit blauem Deckel, der auf der Oberseite seinen Namen trug: »Mr. Lucas Maybury«. Und diese Akte hatte er vermutlich mit dem Namen nach oben auf dem Fahrersitz liegengelassen, wie sonst auch. Allerdings wäre der Name, lediglich mit Schreibmaschine auf einen Aufkleber getippt, durch das Seitenfenster nur schwer lesbar gewesen. Dann jedoch fiel ihm das Flutlicht ein. Gleichwohl hätte das Ganze einen ziemlichen Aufwand erfordert, und er fragte sich, wer sich wohl solcherlei Mühen gemacht haben mochte. Wieder fand er die Antwort: Es mußte Falkner selbst gewesen sein, der herumgeschnüffelt hatte. Was hätte Falkner getan, wenn Maybury, gar nicht einmal so abwegig, das Auto außerhalb des Flutlichtkegels geparkt hätte? Hätte er eine Taschenlampe benutzt? Vielleicht gar einen Dietrich?
    Das war absurd.
    Und wozu die ganze Aufregung? Geschäftsleute hatten eben ihre kleinen Marotten, Maybury war so etwas schon oft genug aufgefallen. Die Leute taten alles, um ihre Eitelkeiten zu befriedigen. Wahrscheinlich war er selbst nicht frei davon. Wichtig war es, in jeder Situation das Wesentliche zu erkennen und sich darauf zu konzentrieren.
    Mit manchen Gästen sprach Falkner recht lange, und während dieser Unterhaltungen brachten, wie Maybury bemerkte, die Tischnachbarn des jeweiligen Gesprächspartners, die zuvor schon wenig genug gesagt hatten, überhaupt kein Wort mehr hervor, schienen sich völlig dem Essen zu widmen. Einige der Leute an der langen Tafel waren, wie ihm nun aufgefallen war, nicht nur älter, sondern schlicht senil: sabbernd, triefäugig, beinahe kahl; doch selbst die schienen den anderen Speisenden in nichts nachzustehen. Maybury kam der fürchterliche Gedanke, daß sie nichts weiteres mehr taten, als zu essen. ›Sie lebten fürs Essen‹: noch ein Kindermädchen-Spruch, dachte Maybury. Und zum guten Schluß war er nun bei denen gelandet, die diese Metapher wörtlich nahmen. Einige dieser Menschen mochten sehr wohl eine Vorliebe für üppige Speisen haben, wie manch’ Alkoholiker es für Spirituosen entwickelt. Dies hier ekelte ihn jedoch mehr als jede Versoffenheit - wovon er auch schon mehr als genug gesehen hatte.
    Falkner machte seine Runde so gemächlich, legte eine so ungemein geübte und professionelle Freundlichkeit an
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