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Glockengeläut

Glockengeläut

Titel: Glockengeläut
Autoren: Robert Aickman
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langsam die Frage, wie viel ihn dieses augenfällig frische und hausgemachte Essen von beinahe unerreichter Qualität wohl kosten möge. Mittlerweile schien es ihm alles andere als ratsam, im Hospiz zu übernachten.
    »Wenn Sie Ihren zweiten Gang beendet haben, könnten Sie einige Worte mit Mr. Falkner wechseln.« Maybury erinnerte sich, daß er, da er ja zu spät gekommen war, damit rechnen mußte, die Speisenfolge ein wenig schneller zu durchlaufen, damit er mit den anderen gleichzöge. Doch war er sich nicht ganz sicher, ob das Versprechen bedeutete, daß Mr. Falkner unter gewissen Umständen einen privaten Alkoholvorrat für ihn antasten würde.
    Offensichtlich würde es jedoch sein ›Aufholrennen‹ beschleunigen, wenn Maybury nur zwei Drittel der Pasta-Kreation äße. Die Frau in dem dunkelblauen Kleid schien das jedoch ganz anders zu sehen.
    »Sind Sie schon satt?« fragte sie unverblümt, dieses Mal auf die höfliche Anrede verzichtend.
    »Wenn ich noch einen weiteren Gang schaffen soll ...«, entgegnete Maybury in recht ruhigem Ton.
    »Es gibt heute Truthahn«, sagte die Frau. »Sie wissen doch, daß für Truthahn immer noch Platz ist.« Sie hatte den Teller nicht abgeräumt.
    »Es schmeckt ausgezeichnet«, entgegnete Maybury mit Bestimmtheit. »Aber ich bin satt.«
    Es war, als sei die Frau an solches Benehmen nicht gewohnt - da dies augenscheinlich denn doch kein Kindergarten war, nahm sie den Teller fort.
    Man gewährte ihm sogar eine kleine Atempause, während derer er sich im Saal umsah - bemüht, den gegenteiligen Eindruck zu erwecken. Zunächst fiel ins Auge, daß jeder der Gäste recht formell gekleidet war: alle Männer in dunklen Anzügen, alle Frauen in langen Kleidern. Altersmäßig bestand eine große Spannweite, doch seltsamerweise gab es mehr Männer als Frauen. Der Unterhaltungspegel war immer noch weit von üblicher Lautstärke entfernt. Maybury konnte sich die Vermutung nicht verkneifen, daß wohl die gehaltvolle Ernährung dafür verantwortlich zu machen sei. Dann fiel ihm auf, daß die Leute wirkten, als lebten sie bereits lange Zeit zusammen, während derer der Gesprächsstoff dann irgendwann einmal mangels neuer Erfahrungen ausgegangen war. Er kannte das aus bestimmten Hotels. Und natürlich konnte Maybury nicht, ohne unhöflich zu wirken, jenes Drittel der Gesellschaft inspizieren, das sich in seinem Rücken befand.
    Sein Truthahnstück wurde serviert: Er hatte die anderen eingeholt, wenn auch mit ein wenig Mogelei. Die immens große Portion Geflügel dampfte leicht, und eine farblose, ölige Flüssigkeit sickerte langsam aus den Fleischporen. Dazu gab es fünf verschiedene Gemüse, plaziert auf fünf verschiedenen, mittels eines Tabletts transportierten Tellern - die Saucenterrine nicht zu vergessen, offensichtlich für ihn allein bestimmt, die eine ›Spezialflüssigkeit‹ zu enthalten schien, dunkelrot und sämig. Ein riesiger Berg von Truthahnfüllung komplettierte das Mahl. Die ältliche Frau setzte die Speisen flink, aber diesmal schweigend und mit nicht zu übersehender Reserviertheit, vor ihn auf den Tisch.
    Um jedoch der Wahrheit die Ehre zu geben: Maybury verspürte nur noch wenig Appetit. Er blickte sich, diesmal schon weniger verstohlen, im Saal um, um zu sehen, wie die anderen mit dem Essen zurechtkämen. Er mußte anerkennen, daß die übrigen Gäste, soweit er es überblicken konnte, alle aßen, als hinge ihr Leben davon ab: die Jungen wie die Alten, die Damen wie die Herren; sie aßen, als hätten sie ausnahmslos einen langen Tag ohne Nahrung auf der Jagd verbracht. »Sie essen, als hinge ihr Leben davon ab«, sagte er ein zweites Mal zu sich selbst. Doch dann, als ihm die Absurdität dieses Satzes in Verbindung mit Essen aufging, ergriff er entschlossen Messer und Gabel.
    »Ist alles zu Ihrer Zufriedenheit, Mr. Maybury?«
    Wieder war er angenehm überrascht. Mr. Falkner stand dicht hinter ihm, ein eleganter Mann im schönsten Dinner-Jackett, ein maitre d’hotel wie aus dem Buche, der Mayburys Laune sofort verbesserte.
    »Ja, danke«, antwortete Maybury. »Aber woher kennen Sie meinen Namen?«
    »Wir legen Wert darauf, uns an die Namen aller unserer Gäste zu erinnern«, beschied Falkner ihn lächelnd.
    »Ja, ja, aber wie haben Sie meinen Namen überhaupt herausgefunden?«
    »Wir halten es uns zugute, auch hierin unser Bestes zu geben, Mr. Maybury.«
    »Ich bin tief beeindruckt«, sagte Maybury. In Wahrheit fühlte er sich irritiert (was eigentlich noch ein zu milder
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