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Gleitflug

Gleitflug

Titel: Gleitflug
Autoren: Anne-Gine Goemans
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wusste er nicht mehr. Als er sie fragte, was das für lange dünne Streifenwaren, hatte sie geantwortet: »Klebenähte. Ich bin auseinandergebrochen, und da hat man mich wieder zusammengeklebt.«
    Nach ein paar Minuten sagte Gieles zu den Jungen, sie könnten die Hände wieder wegnehmen.
    »Schön«, meinte Freek. »Jetzt schimpft Mama nicht.«
    Skiq breitete die Tuben vor sich aus und fing an zu zählen. »Achtzehn«, verkündete er.
    »Warum habt ihr so viel Kleber im Haus?«, fragte Gieles.
    Der Junge zuckte mit den Schultern. »Ich glaub, es geht oft was kaputt.«
    Gieles holte seinen Laptop. »Seht ein bisschen fern.«
    Die Brüder hingen schon zappend auf dem Sofa, als Gieles sich am Tisch niederließ. Scheiße. Keine Gravitation . Er las die Mail seiner Mutter.
    »Mein Sonnenschein«, begann sie. Seit er denken konnte, nannte ihn seine Mutter so. »Ich schreibe dir im Klassenraum einer Minischule in Budunbuto. Ein armes Dorf ohne fließendes Wasser, aber mit acht nagelneuen Computern, die eine niederländische Firma gestiftet hat. Rührend, dieses Engagement. Nur dass sieben der acht Computer leider schon durch den ständig herumwirbelnden Sand kaputtgegangen sind. Morgen mache ich eine Kochvorführung für die Dorffrauen. Sie sind ans Kochen mit Holz gewöhnt, aber hier gibt es weit und breit keine Bäume mehr. Verglichen mit Budunbuto ist unser Polder ein wuchernder Urwald. Zum Glück kann ich mich heute etwas von der Reise erholen. Fast eine Woche habe ich gebraucht, um hierhin zu kommen. Unzugängliche Gebiete und Banditen bin ich ja gewohnt, aber die Erlebnisse mit meinem Führer stellen alles in den Schatten. Er kaute ununterbrochen Kath. Ganze Sträucher davon fraß er, wie eine Ziege, und allmählich verlor er den Kontakt zur Realität. Er bildete sich ein, ich wäre eine weibliche Hyäne und er ein Männchen. Die Details erspare ich dir.Ich bin froh, dass ich jetzt hier bin, auch wenn mich der Staub, der sich auf alles legt und in jede Falte kriecht, manchmal wahnsinnig macht. Was gäbe ich nicht für eine kalte Dusche, aber das Wasser ist rationiert. Ohne Burka geht es auch nicht, trotz vierzig Grad Hitze.«
    Das von der Burka hatte er schon gelesen.
    »Gibt nichts im Fernsehen«, sagte Skiq und holte seinen schwarzen Michael-Jackson-Hut. »Darf ich dir den Moonwalk zeigen?« Der Hut hing ihm fast bis über die Augen.
    Gieles klappte den Laptop zu und ging zum Schrank mit dem CD -Spieler. Ein wüster Haufen CD s, alle ohne Hülle.
    »Nummer vier!«, rief Skiq. »›Billie Jean‹, ist schon drin.«
    Er stand mitten im Zimmer, den Hut schief im Gesicht. Mit einer Hand hielt er die Krempe fest. Als die Musik einsetzte, wackelte er mit den schmalen Hüften, dann ließ er Kampfbewegungen folgen. Sein kleiner Bruder ahmte ihn auf dem Sofa nach. Jetzt der Moonwalk: Während Skiq die Ferse des einen Fußes anhob, schob er den anderen nach hinten.
    »Du machst das noch besser als Michael Jackson«, sagte Gieles.
    Freek sprang vom Sofa auf seinen Bruder. Sie begannen miteinander zu rangeln.
    »Wird Zeit fürs Bett«, sagte Gieles und trennte die beiden. Im Badezimmer stritten sie weiter. Erst über die Zahnbürsten, dann über die Inhalatoren. Alle drei Kinder hatten Asthma. Auch daran war nach Dollys Ansicht der Flughafen schuld.
    »Wenn ihr euch jetzt eure Schnorchel da in den Mund steckt, dürft ihr das nächste Mal mit Onkel Freds Elektromobil fahren.«
    Sie inhalierten ihre Asthma-Mittel und verließen das Badezimmer.
    »Du kannst nicht mit in mein Zimmer kommen«, sagte Skiq zu Gieles. Er blieb vor seiner Tür stehen und versperrte ihm den Weg.
    »Skiq pisst noch ins Bett. Er hat einen Pisswecker«, sagte Freek schadenfroh.
    » ICH PISSE NICHT INS BETT, BLÖDER ARSCH! «, schrie Skiq und verpasste seinem Bruder einen Schlag in den Bauch. Freek knallte gegen die Wand und fing an zu weinen.
    Der Jüngste wachte auf und begann nun auch zu brüllen.
    »Keine Gewalt«, sagte Gieles und trennte sie wieder. Er brauchte eine halbe Stunde, um sie zu beruhigen. Zum Schluss ging er in Skiqs Zimmer. Der Junge hatte der Tür den Rücken zugedreht. Neben seinem Kopf lag ein kleiner schwarzer Kasten mit einem Kabel, das unter der Bettdecke verschwand.
    »Ist das der Wecker?«, fragte Gieles.
    Der Junge antwortete nicht. Seine spitzen Schultern schauten unter der Decke hervor. Skiq war schmächtig. Wenn Gieles sich mit ihm herumbalgte, spürte er die Knöchlein unter der Haut. Er erinnerte ihn an eine Heuschrecke.
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