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Glasklar

Glasklar

Titel: Glasklar
Autoren: Gmeiner-Verlag
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umgedreht und den dreien nachgesehen. »Ungewiss ist alle Wiederkehr«, zitierte sie aus dem Lied.
    Niemand erwiderte etwas.

2.
    Das Holz in den Feuerstellen war zu grauer Asche verfallen. Stundenlang noch hatte es geglüht, doch jetzt, an diesem frischen Sommermorgen, als die Sonne schon über den Horizont der Albberge gestiegen war, hatte sich der Rauch der Lagerfeuer verzogen. Das Konzert der Vögel hing in der Luft, an den prächtigen Stauden entlang des Wanderwegs schwirrten die Insekten und Schmetterlinge. Millionen von Tautropfen glitzerten und funkelten wie Diamanten. Die Sonne war längst erwacht in den Bergen, dachte sich der Mann, der mit seinem Schäferhund auf dem Weg zum Frühschoppen ins Wasserberghaus war. Noch bevor der sonntägliche Ansturm losging, traf sich regelmäßig ein kleiner Kreis von Stammtischlern, um hier oben Karten zu spielen oder auch nur die politischen Ereignisse der vergangenen Woche zu kommentieren, bisweilen polemisch, immer aber aus der Sicht des sogenannten kleinen Mannes, der – wie sie es oft genug schon kritisiert hatten – in Berlin kein Gehör fand. Am liebsten hätten sie mal einen der beiden örtlichen Bundestagskandidaten eingeladen, um ihm kräftig die Meinung zu sagen. Doch keiner von ihnen war bisher bereit gewesen, auf den Berg heraufzukommen. Vielleicht, so dachte der Mann, würde sich die Gelegenheit vor der nächsten Bundestagswahl ergeben. Dann entdeckten die Abgeordneten, wie man wusste, plötzlich auch wieder das Volk, für dessen Wohl sie arbeiten sollten.
    Arco, der Schäferhund, hatte eine Fährte aufgenommen. Sein Herrchen wusste zwar, dass es die Naturschützer nicht gerne sahen, wenn hier oben Hunde frei herumliefen. Doch Arco brauchte Bewegung und war überdies, daran bestand für den Mann gar kein Zweifel, folgsam wie kaum ein anderer. »Der tut nix«, hatte er oft schon verängstigten Spaziergängern entgegengerufen, die beim Anblick des vorauseilenden Schäferhunds in panische Starre verfallen waren.
    Arco und sein Herrchen hatten jetzt jene Stelle erreicht, an der der steil von der Landstraße heraufführende Pfad den breiteren Forstweg erreichte. Der Hund rannte übermütig voraus, was den Mann jedoch irritierte und mit einem scharfen Pfiff durch die Finger von ihm quittiert wurde. Doch Arco dachte nicht daran, zu seinem Besitzer zurückzukehren. »Arco!«, rief der Mann hinterher, der solcherlei Verhalten seines dressierten Vierbeiners nicht gewohnt war. Noch ein Pfiff durch die Finger. Vergeblich.
    Der Hundebesitzer, der beim Anstieg ins Schwitzen gekommen war, beschleunigte seine Schritte und erreichte jene Lichtung, in deren Mitte ein käfigartiges Gebilde stand, in dem ein Mammutbäumchen heranwuchs. Arco war dem Trampelpfad gefolgt, der sich dorthin im hohen Gras der Waldwiese abzeichnete. Dann aber hatte er sich links abgewandt, um sichtlich aufgeregt über zertrampeltes Gras dem dichten Unterholz am Rande des Fichtenbestands zuzustreben – die Rufe seines Herrchens weiterhin ignorierend. Der Mann eilte verärgert hinterher, denn inzwischen hatte er keinen Zweifel mehr, dass Arcos Verhalten auf etwas Ungewöhnliches schließen ließ. Von einem Wild, davon war er überzeugt, hätte sich sein wohlerzogener Schäferhund nicht derart ablenken lassen. Arco war vor dem Gebüsch stehen geblieben, bellte dreimal und drehte den Kopf zu seinem herannahenden Herrchen, als wolle er ihm etwas zeigen. Der Mann erreichte schwer atmend den Vierbeiner und versuchte, durch das dichte Laub der Sträucher etwas zu erkennen. Doch seine Augen hatten Mühe, sich auf den Schatten hinter dem grünen Blätterwerk einzustellen. Arco machte unterdessen noch ein paar Schritte nach vorne, ganz dicht an das Gebüsch heran. Erst jetzt fielen dem Mann die abgebrochenen Spitzen der dünnen Ästchen auf. Er folgte zögernd seinem Hund und versuchte mit verengten Augen, im Unterholz etwas zu erkennen. Tatsächlich, da war etwas. Ein Kleiderbündel, dachte er. Jemand hatte Kleider weggeworfen. Der Wald als Müllhalde. Doch sein aufkommender Zorn über solch vermeintliche Umweltsünder mündete übergangslos in blankes Entsetzen. An den taufeuchten Blättern der Hecke, deren Äste sich in Augenhöhe vor ihm ausbreiteten, klebte eine rote Flüssigkeit. Für einen kurzen Moment war sein Gehirn nicht in der Lage, diese Beobachtung einzuschätzen. Er fokussierte die rot verschmierten Blätter, sah zu seinem aufgeregten Hund, der offenbar auf ein Kommando wartete, und nahm
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