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Glashaus

Glashaus

Titel: Glashaus
Autoren: David Gray
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sollte, der Teddy den entscheidenden letzten Schritt zur Übernahme von Halifs Geschäften zuspielen würde?
    Die Welt war verrückt.

    18 Uhr 14. Sascha lag eingerollt wie ein Baby neben ihm im Bett. Er sah ihre Brüste unter ihrem Atem leise auf und ab beben und hörte auf all jene erstaunlich vielfältigen winzigen Geräusche, die sie auch im Schlaf noch verursachte. Irgendwo in ihrem Bauch wuchs ein Wesen heran, das einen Teil von ihm in sich trug. Nach wie vor war ihm der Gedanke daran fremd, doch begann er zu ahnen, dass es nicht immer so bleiben würde.
    Er setzte sich auf, schob Saschas Arm von seinem Bauch und steckte sich eine Zigarette an.
    Hinter dem dünnen Vorhang seines Schlafzimmerfensters ging die Sonne in einem Schleier aus orangegelb und rot allmählich unter.
    Sascha stieß ein Geräusch aus, das sich wie der wohlige Seufzer eines kleinen Kindes anhörte.
    Plötzlich wusste er, dass Younas Aris am Morgen im Hof des Präsidiums gelogen hatte.
    All der Schmus von wegen Grenzen, Knast und Angst konnte nur ein Teil der Wahrheit gewesen sein. Und zwar der geringere. Younas hatte diese Jungen für sich selbst getötet. Für jenes Gefühl von Stolz und Überlegenheit, dessen erste Ahnung beim Nachdenken über das Kind, das in Saschas Bauch heranwuchs, soeben auch in Boyle aufgeblitzt war.
    Die brennende Zigarette zwischen den Lippen, schälte sich Boyle aus dem Bett und ging zum Wohnzimmer, wo er vorhin seine Sachen abgeworfen hatte.
    Da war – so oder so - immer noch etwas offen, das plötzlich keinen Aufschub mehr duldete.
    Dort, zwischen seinem Hemd und Saschas Hosen, lag Teddy Amins Pistole. Nackt wie er war, beugte sich Boyle danach herab, hob sie auf, entsicherte sie und trat damit in die Küche.
    Was er jetzt tat, tat er für den Hass, mit dem seine Mutter ihm eines Tages gesagt hatte, dass sie ihn nicht länger ertrug, weil seine dunkle Haut sie jeden Moment, den sie zusammen verbrachten, an den Mann erinnerte, dem er seine Existenz verdankte.
    Es galt, Teddy Amin, der nie etwas anderes gewollt hatte, als das, was er schließlich auch bekam.
    Es galt ihm selbst - Lewis Boyle -, dem Vergewaltiger eines schreienden und zu Tode geängstigten Mädchens, dem Dieb und Verräter.
    Es galt Stiller und Premuda, Färber und Saleki, Tommy Graf und Anatoli Ryschkows kristallin über frorenem Herzen.
    Es galt dem Blick, mit dem Aziza Aris am Morgen aus dem Vernehmungsraum wieder auf den Flur des Präsidiums getreten war.
    Es galt dem kleinen schwarzen Kindersoldaten, den irgendwer wahrscheinlich längst irgendwo mit einem Bild von ihm in Marsch gesetzt hatte.
    Es galt jenem Tempel aus Hass, in dem Bellini genauso inbrünstig opferte, wie Becker und Klein, Premuda und Halif Kahn.
    Und es galt dem unausgesprochenen Versprechen, das er vorhin Sascha und sich selbst gegenüber abgegeben hatte.
    „ Tschüss Arschloch.“
    Er legte die brennende Zigarette im Ascher auf dem Küchentisch ab und nahm sich viel Zeit beim Zielen. Setzte die Waffe einige Male wieder ab, bevor er völlig sicher war, dass die Kugeln mit Sicherheit auch treffen würden, was sie nach seinem Willen zu treffen hatten.
    Er sah, wie hinter dem Küchenfenster, dem Bauzaun, der Regenwassergefüllten Baugrube und über den Türmen der Innenstadt vereinzelte Rauchsäulen in den vom Sonnenuntergang entflammten Himmel stiegen.
    Sein erster Schuss auf seinen Doppelgänger am Bauzaun gegenüber, hatte das Glas des Küchenfensters in eine Kavalkade winziger im Abendsonnenlicht aufschimmernder Splitter zerbersten lassen.
    Ein erstaunlich harmlos wirkendes Loch erschien gegenüber im Gesicht seines lächelnden Ebenbildes.
    In Teddy Amins Waffe waren zehn Patronen. In einem stillen Rausch jagte Boyle Schuss um Schuss in das Plakat gegenüber. Dann ließ er die Waffe auf den Küchentisch fallen, setzte sich auf einen Stuhl und rauchte seine Zigarette zu Ende.
    Er war zu tief sich selbst versunken, um Sascha zu bemerken, die während er seine letzten Schüsse abgab, in die Küche getreten war und ihm mit entgeisterten Blicken dabei zugesehen hatte, wie er gegenüber sein eigenes Gesicht in Fetzen schoss.
    „ Scheiße … Boyle …“.
    Es dauerte so unglaublich lange, bis er seinen Kopf heben und sich über die Schulter hinweg zu ihr umsehen konnte.
    „ Ich konnte ihn einfach nicht mehr länger ertragen. Ich hatte auf einmal solche Angst davor, dass eines Tages sein scheiß Grinsen wirklicher werden würde als ich.“
    Er ahnte, dass er sie wegstoßen
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