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Glashaus

Glashaus

Titel: Glashaus
Autoren: David Gray
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Dir `n Kaffee. Du gehst zur Arbeit. Tust, was Du immer tust. Lebst. Und dabei hätte doch eigentlich alles anders sein müssen, weil Du diesen Kerl platt gemacht hast. Aber das ist es nicht. Es ist alles wie immer. Ich habe mich hingesetzt und in mich reingehorcht. Aber da war nichts. Nicht mal Leere. Einfach nichts. Ich weiß nicht wie es anderen dabei gehen würde. Mir jedenfalls ist es bloß scheißegal. Verstehst Du? Es tut mir nicht mal leid. Der Typ hat gekriegt was er verdient. Punkt.“
    Irgendwo hupte ein Auto. Und hinter ihnen bestellte ein Kerl, der aussah wie ein Werftarbeiter, einen Hot Dog zu eins achtzig.
    Boyle glaubte Tommy. Aber er wusste auch, dass er selbst es nicht ertragen könnte, einen Mann zu töten. Das war der Grund, weswegen er so fest davon überzeugt gewesen war, einen guten Mordermittler abzugeben.
    „ Wenn Du das erst mal kapiert hast, bist Du drüber hinaus. Dann gibt’s nicht mehr viel vor dem Du noch Angst haben müsstest. Und irgendwie bin ich sicher, dass die Typen, die den Überfall durchgezogen haben, schon längst an diesem Punkt gewesen sein müssen. Deshalb denke ich bei dem Überfall an Bullen. Gibt einfach keine besseren Kriminellen als alt gediente Bullen.“
    Tommy zückte ein Taschentuch und begann wieder an dem Senffleck herum zu reiben.
    „ Die Leute meinen immer wir seien so was wie die Mauer, die sie vor dem Bösen schützt, von dem sie glauben, dass es ständig um sie herum aus den Gossen kriecht. Aber das ist naiv. Wir sind keine Mauer. Wir sind höchstens so was wie Katalysatoren, die dafür bezahlt werden, das, was schief lief, durch ihre Hirne zu filtern und irgendwann in Form von Schlussfolgerungen und Beweisen in Gerichtsakten wieder auszukotzen. Worüber bloß nie einer redet ist, dass in jedem Katalysator Überreste hängen bleiben. Irgendwann wird es einfach zuviel und er verstopft und die Folge davon ist dann so was wie heute Morgen.“
    Obwohl es dort nichts Interessanteres als Dunst zu sehen gab, wandte sich Boyle wieder dem Hafenbecken zu.
    Tommy Graf mochte gar nicht so Unrecht haben mit dem was er sagte.
    Doch spielte das gar keine so große Rolle. Tommy entsprach so ganz und gar nicht dem üblichen Polizisten. Und das nicht nur weil er schwul war, sondern auch weil er aus einer sehr wohlhabenden Familie stammte. Und so sehr er sich auch ständig selbst zu beweisen bemühte, dass sein Job für ihn mehr als nur die exzentrische Schrulle eines reichen Sunnyboys war - was Tommy im Gegensatz zur überwiegenden Zahl der anderen Polizisten fehlte, war jenes instinktive Verständnis dafür, wie unglaublich erniedrigend es war arm zu sein.
    Nein, niemand hatte Tommy vorgeschickt um Boyle wegen des Überfalls auf den Zahn zu fühlen. Jeden anderen, nur nicht ausgerechnet Tommy Graf.
    Boyle hatte gewonnen. Sie würden ihn nicht kriegen. Heute war der Tag, an dem er endlich geworden war, was er immer schon hatte sein wollen: Ein Mann, der sicher sein konnte, dass er immer ein allerletztes Ass im Ärmel hatte.
    „ Noch n Bier?“, fragte Boyle.
    Die Stadt machte sich fit für eine neue Nacht: Schminkte ihr Gesicht in den trügerisch sanften Farben von Irrenhauswänden.

Younas / 2. – 3. September 1999
    Wenigstens hatte die Hitze endlich nachgelassen. Und keiner in der Stadt konnte die längst fällige Abkühlung sehnlicher herbei gewünscht haben, als die Männer, die im zehnten Stock des Sparkassenneubaus Beton schaufelten.
    Was immer der Traum eines vereinten Europas irgendwann einmal sein würde: Zumindest hier hatte er sich in gewissem Sinn bereits erfüllt. Die Männer, die vereint in Hitze, Staub und Lärm auf der größten Baustelle der Stadt schufteten, waren Griechen, Russen, Portugiesen, Kroaten oder Albaner. Trotz aller Unterschiede arbeiteten sie seit Monaten friedlich zusammen. Vielleicht nur deswegen, weil jeder von ihnen ganz genau wusste, dass auch er nicht besser dran war, als der Mann neben ihm. Was hier zählte war die Leistung, die sie am Ende des Tages abzurechnen hatten. Nicht Herkunft oder Religion. Ob Christ, Moslem, Ungläubiger oder Orthodoxer – an diesem Ort bestand nur, wer gelernt hatte über solche Unterschiede hinwegzusehen.
    Der Mann in den blauen Stiefeln und dem zerrissenen I LOVE NY–T-Shirt hieß Younas Aris, war dreiundvierzig, mittelgroß, dunkelhaarig, sehnig und tief braungebrannt. Der breit gebaute Grieche, der am Ende der weiten Plattform des zehnten Stocks mit seinen beiden Kollegen seit Wochen Stahlgitter
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