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Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Titel: Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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antworte auf meine Frage.« »Nun, dieses Mädchen ist so reizvoll, daß sie dem Kaiser Napoleon den Kopf benommen hätte und daß sie selbst einem, der noch schwerer zu verführen ist, den Kopf benehmen würde: dir!« erwiderte Rastignac, indem er fortging. »Einen Augenblick!« sagte die Maske. »Ich will dir zeigen, daß du mich niemals irgendwo gesehen zu haben brauchst.«
    Der Fremde nahm die Maske ab; Rastignac zögerte einen Augenblick, da er nichts von der scheußlichen Persönlichkeit erblickte, die er ehemals im Hause Vauquer gekannt hatte. »Der Teufel hat es Ihnen ermöglicht, sich ganz zu verwandeln, nur die Augen nicht, die man niemals vergessen könnte,« sagte er. Die Hand aus Eisen drückte ihm den Arm, um ihm ewiges Schweigen zu empfehlen.
    Um drei Uhr morgens fanden Des Lupeaulx und Finot den eleganten Rastignac noch immer an derselben Stelle; er lehnte an der Säule, wo ihn die furchtbare Maske verlassen hatte. Rastignac hatte vor sich selbst gebeichtet: er war in einer Person Priester und Sünder, Richter und Angeklagter gewesen. Er ließ sich zum Frühstück davonführen, und als er nach Hause kam, war er vollständig berauscht, aber schweigsam.
    Die Rue de Langlade verunziert mit den anstoßenden Straßen das Palais Royal und die Rue de Rivoli. Dieser Teil eines der glänzendsten Pariser Viertel wird noch lange den Makel tragen, den ihm die Kehrichthügel des alten Paris aufgedrückt haben, auf denen ehemals Mühlen standen. Diese engen, düstern und kotigen Straßen, in denen Industrien getrieben werden, die wenig für ihre äußere Erscheinung sorgen, nehmen nachts eine geheimnisvolle und kontrastreiche Physiognomie an. Wenn man von dem lichtreichen Master der Rue Saint-Honoré, der Rue Neuve des Petits Champs und der Rue de Richelieu kommt, in denen sich eine nie ebbende Menge drängt und in denen die Meisterwerke der Industrie, der Mode und der Künste glänzen, so muß jeder, dem das abendliche Paris unbekannt ist, von einer traurigen Angst ergriffen werden, sobald er in das Gewirr der kleinen Straßen gerät, das diesen bis zum Himmel hinaufgespiegelten Glanz umschließt. Dichter Schatten folgt auf die Ströme von Gaslicht. Von Zeit zu Zelt wirft eine bleiche Laterne ihr ungewisses, rauchiges Licht, das gewisse schwarze Sackgassen nicht mehr beleuchtet. Selten sieht man einen Menschen gehen, und der geht schnell. Die Läden sind geschlossen, und wenn einer geöffnet ist, so macht er einen verdächtigen Eindruck; es ist eine dunkle, unsaubere Kneipe oder ein Wäscheladen, in dem man Eau de Cologne verkauft. Eine ungesunde Kälte legt einem den feuchten Mantel auf die Schultern. Es kommen wenig Wagen durch. Es gibt unheimliche Winkel, unter denen sich die Rue de Langlade, die Mündung der Saint-Guillaume-Passage und ein paar Straßenecken auszeichnen. Die Gemeindeverwaltung hat bislang wenig tun können, um dieses große Aussatzspital auszuspülen; denn seit langem hat hier die Prostitution ihr Hauptquartier aufgeschlagen. Vielleicht ist es ein Glück für die Welt von Paris, wenn man diesen Gassen ihren Kotanblick läßt. Wenn man bei Tage durchkommt, so kann man sich nicht vorstellen, was bei Nacht aus all diesen Straßen wird; sie werden durchstreift von wunderlichen Wesen, die keiner Welt angehören; halbnackte weiße Gestalten stehen an den Mauern hin; der Schatten ist belebt. Zwischen dem Hausgemäuer und den Vorübergehenden gleiten Kleider, die gehen und reden. Gewisse angelehnte Türen brechen jäh in schallendes Gelächter aus. Worte fallen einem ins Ohr, die, wie Rabelais sagt, gefroren waren und jetzt schmelzen. Aus dem Pflaster tönen Refrains herauf. Es ist kein vages Geräusch, es bedeutet irgend etwas; wenn es heiser wird, so ist es eine menschliche Stimme; aber wenn es einem Singen gleicht, so hat es nichts Menschliches mehr und nähert sich einem Zischen. Oft wird plötzlich gepfiffen. Endlich haben die Stiefelabsätze irgend etwas Herausforderndes und Spöttisches. Einen schwindelt bei diesem Gesamteindruck der Dinge. Dort sind die atmosphärischen Verhältnisse verwandelt: man schwitzt im Winter und friert im Sommer. Aber welches Wetter auch herrsche, diese seltsame Natur bietet stets dasselbe Schauspiel dar: hier lebt die phantastische Welt des Berliners Hoffmann. Der am rechnerischsten veranlagte Kassierer findet hier nichts Wirkliches mehr, wenn er die Straßenengen hinter sich hat, die zu den anständigen Straßen führen, wo es Passanten, Läden und Lampen gibt.
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