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Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Titel: Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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Morgens. Die Kapuze und der Überwurf des Dominos lagen am Boden. Das Bett war nicht benutzt. Das arme Geschöpf, das im Herzen von tödlicher Wunde getroffen war, hatte ohne Zweifel bei der Rückkehr aus der Oper alles so gelassen. Ein Kerzendocht, der in dem Wasser, das der Leuchtereinsatz enthielt, erstarrt war, bewies, wie tief Esther in ihre letzten Gedanken versunken gewesen war. Ein von Tränen benetztes Taschentuch zeigte die Aufrichtigkeit dieser Reue einer Magdalena, deren klassische Haltung die der gottlosen Kurtisane war. Diese unbedingte Reue entlockte dem Priester ein Lächeln. In ihrer Ungeschicklichkeit hatte sie, als sie sterben wollte, ihre Tür offen gelassen, ohne zu berechnen, daß die Luft der beiden Zimmer eine größere Menge von Kohlen verlangte, um jedes Atmen unmöglich zu machen; das Kohlengas hatte sie nur betäubt; die frische Luft, die jetzt von der Treppe her eindrang, gab sie allmählich dem Gefühl für ihre Leiden zurück. Der Priester blieb stehen; er war in düstere Gedanken versunken, und ohne sich von der göttlichen Schönheit dieses Mädchens rühren zu lassen, beobachtete er ihre ersten Bewegungen, als wäre sie irgendein Tier. Seine Augen schweiften von diesem zusammengebrochenen Körper zu gleichgültigen Gegenständen hinüber, und zwar scheinbar in voller Gleichgültigkeit. Er sah sich das Mobiliar des Zimmers an, dessen roter, gescheuerter, kalter Boden von einem schlechten, fadenscheinigen Teppich kaum verdeckt war. Eine altmodische Bettstelle von gestrichenem Holz, verhängt mit Gardinen aus gelbem Kattun mit roten Rosetten; ein einziger Sessel und zwei Stühle, gleichfalls aus gestrichenem Holz und bezogen mit demselben Kattun, der auch die Vorhänge der Fenster geliefert hatte; eine mit Blumen getüpfelte Tapete, deren grauer Grund von Alter und Fett schwarz geworden war; ein Nähtisch aus Mahagoni; ein mit Küchengerät der gewöhnlichsten Art überladener Kamin, zwei angebrochene Holzbündel, ein Steingesims, auf dem hier und da, untermischt mit Schmuck und Scheren, ein paar Glassachen standen; ein schmutziges Nähkissen, weiße parfümierte Handschuhe, ein entzückender Hut, der auf die Wasserkanne geworfen war, ein Ternauxschal, der das Fenster verstopfte, ein elegantes Kleid, das an einem Nagel hing, ein kleines hartes Kanapee ohne Kissen; gemeine Überschuhe und reizende Schuhe, Stickereien, die den Neid einer Königin hätten erwecken können, Teller aus gewöhnlichem Porzellan, auf denen man die Reste der letzten Mahlzeit sah, die Stoßstellen zeigten und Messer und Gabeln aus Weißblech trugen, dem Silber des Pariser Armen; ein Korb voll Kartoffeln und schmutziger Wäsche, darüber eine frische Gazehaube, und ein schlechter, offen und verlassen dastehender Spiegelschrank, auf dessen Konsolen sich Pfandscheine zeigten: das war das Gesamtbild düsterer und heiterer, elender und reicher Dinge, das sich dem Blick darbot.
    Diese Spuren des Luxus unter den Scherben, diese Einrichtung, die so gut zu dem Bohémeleben des Mädchens paßte, das hier in seiner wirren Unterkleidung zusammengebrochen war, einem in seinem Geschirr verendeten und unter der zerbrochenen Deichsel in seine Leinen verwickelten Pferd vergleichbar: gab dieses seltsame Schauspiel dem Priester seine Gedanken ein? Sagte er sich, daß dieses verirrte Geschöpf wenigstens selbstlos sein mußte, um solche Armut mit der Liebe zu einem reichen jungen Mann zu paaren? Schrieb er die Unordnung des Mobiliars der Unordnung des Lebens zu? Empfand er Mitleid, Schrecken? Nährte sich sein Erbarmen? Wer ihn gesehen hätte, wie er mit untergeschlagenen Armen dastand, mit sorgenvoller Stirn, mit zusammengekniffenen Lippen und hartem Auge, hätte glauben müssen, er wäre mit finsteren, gehässigen Empfindungen beschäftigt, mit widerspruchsvollen Gedanken, mit unheimlichen Plänen. Auf jeden Fall war er unempfindlich für die hübschen Rundungen einer Brust, die unter der Last des vorgebeugten Oberkörpers fast erdrückt wurde, und für die entzückenden Formen der kauernden Venus, die unter dem schwarzen Unterrock sichtbar waren, so straff war die Sterbende in sich zusammengebrochen; die Hingeschmiegtheit dieses Kopfes, der, von hinten gesehen, dem Blick seinen weißen, weichen und biegsamen Nacken darbot, die schönen Schultern in ihrer kühn enthüllten Nacktheit rührten ihn nicht; er hob Esther nicht auf, er schien ihr herzzerreißendes Atmen, das die Rückkehr zum Leben verriet, nicht zu hören: es bedurfte
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